Kultur (in) der Nachhaltigkeit
Die Geschichte der Nachhaltigkeit zeigt viele Entwicklungsschritte. Sie reicht von einem mittlerweile als schwach geltenden Verständnis, bei dem Ökologie, Soziales und Wirtschaft gleichwertig und kompensierbar sind, bis zu einem starken Nachhaltigkeitsverständnis, das die ökologische Dimension als Grundlage des sozialen und wirtschaftlichen Lebens betrachtet. Augsburg integriert darüber hinaus eine vierte Dimension in sein städtisches Nachhaltigkeitskonzept: die Kultur. Doch was bedeutet „Kultur“ in diesem Zusammenhang, und welche Auswirkungen hat dieses Verständnis auf die praktische Gestaltung unseres Nachhaltigkeitsprozesses?
Annäherung an den Kulturbegriff
Die Ursprünge des Kulturbegriffs liegen im lateinischen Wort „cultura“. Es bezeichnet sowohl das Kultivieren von Land (Ackerbau) als auch das Kultivieren des Geistes und seiner intellektuellen Fähigkeiten. In modernen Gesellschaften erfährt der Kulturbegriff viele Interpretationen und ist daher vieldeutig und schwer greifbar. Wissenschaftlich unterscheidet man zwischen einem engen und einem weiten Kulturbegriff. Der enge Kulturbegriff umfasst kreative Ausdrucksformen wie Literatur, Musik oder bildende Kunst. Intuitiv teilen wohl viele dieses Verständnis.
Im Kontext der Nachhaltigkeit sprechen wir jedoch von einem weiten Kulturbegriff. Hier fungieren Kulturen als Rahmen für Sinnzusammenhänge und Deutungshorizonte, die kognitive Prozesse und die Wahrnehmung und Interpretation der Welt beeinflussen. Kultur äußert sich durch diese impliziten Verarbeitungsprozesse in konkreten Handlungsmustern, in der Welt der Artefakte und des Materiellen. Kultur als Bedeutungssystem und Kultur als Welt der (Alltags-)Praktiken bedingen und beeinflussen sich gegenseitig.
Kultur ist kein ein statisches System. Sie bewegt sich zwischen Beständigkeit und Wandel, Standardisierung und Differenzierung sowie Offenheit und Grenzen. Kultur ist auch die Sphäre der ständigen Aushandlung des individuellen und Zusammenlebens. Daraus entstehen kontextspezifische „Wertewelten“ oder „Werteordnungen“, die innerhalb einer bestimmten Lebenssphäre oder eines Kollektivs wirksam werden, es formen und stabilisieren. Außerhalb ihres Kontexts können diese missverstanden, umgedeutet oder nicht verstanden werden. In modernen, globalisierten Gesellschaften lösen sich die stablien Werteordnungen auf und führen zu einer innergesellschaftlichen Pluralität und Hybridität kultureller Deutungsrahmen.
Kultur und Nachhaltigkeit
Kultur als Rahmen im Nachhaltigkeitsverständnis zeigt ihre Bedeutung im Aufbau menschlicher Gesellschaften und im Umgang mit der Umwelt. Die Entwicklung und der Erfolg von Nachhaltigkeitsstrategien hängt stark von ihrer kultureller Akzeptanz ab, also von ihrer Anpassung an bestehende kulturelle Kontexte.
Das Konzept der Nachhaltigkeit ist dabei als normativ zu verstehen, da es ethische Grundhaltungen festlegt und somit selbst als kulturelles Phänomen erscheint. Soziale, ökologische und ökonomische Verhältnisse sind immer durch geteilte Sinn- und Wertehorizonte vermittelt, innerhalb derer sie interpretiert werden. Wenn unsere Gesellschaft die sozial-ökologischen Krisen unserer Zeit bewältigen will, ist dies nur durch einen Wandel in unseren Wahrnehmungs- und Deutungsmustern möglich, also durch einen Wandel in unserer Kultur im Sinne eines weiten Kulturbegriffs.
(Kulturelle) Bildung für nachhaltige Entwicklung
Was bedeutet dies konkret für die Arbeit, die wir im Umweltbildungszentrum für den sozial-ökologischen Wandel leisten? Viele unserer Veranstaltungen beziehen sich klar zu den Augsburger Zukunftsleitlinien, die unter die Kategorie „Kultur“ fallen, weil ein zentraler Teil unserer Bildungsarbeit die Wertebildung ist. Wir regen Menschen dazu an, ihre eigenen Deutungs- und Handlungsmuster zu erkennen. Dabei ist sowohl der Bezug zur eigenen Biografie und das Verstehen der gesellschaftlichen Strukturen wichtig. Wir fördern im Sinne des weiten Kulturbegriffs die Sichtbarkeit kultureller Vielfalt und reflektieren, welche Weltbilder und Werte kulturelle Artefakte vermitteln.
Ein zentraler Aspekt dabei ist, den gesellschaftlichen Diskurs über Nachhaltigkeitsthemen zu fördern. So plural und hybrid unsere Kultur(en) sind, so wichtig ist es, deren vielfältige Perspektiven auf Nachhaltigkeit, die damit verbundenen Bedürfnisse und Herausforderungen ernst zu nehmen und zu verhandeln. Nur so kann eine nachhaltige Gesellschaft demokratisch entstehen. Die kulturelle Dimension und ihre Bedeutung für Bildung und gesellschaftliche Entwicklung wird auch in der Dauerausstellung des Umweltbildungszentrums themasiert werden. Ein gutes Beispiel dafür, wie sich kulturelle Deutungsrahmen in der materiellen Welt der kulturellen Artefakte niederschlagen – denn sie sind untrennbar miteinander verwoben.
Kultureller Wandel
Kultureller Wandel basiert im freiheitlich-demokratischen Raum auf dem Verständnis des eigenen und des kollektiven Wertekanons. Sich der Entstehung dieser Werte sowie der daraus resultierenden Handlungen bewusst zu werden, eröffnet den Blick auf die Wirkung, die diese Handlungen auf die Dimensionen Ökologie, Soziales und Ökonomie ausüben. Das Augsburger Nachhaltigkeitsverständnis mit seinem kulturellen Rahmen steht letztlich dafür, dass Bewusstseinswandel in der Gesellschaft das tragende Fundament und übergeordnete Ziel des Augsburger Nachhaltigkeitsprozesses ist.
Autorin: Elisabeth Englram, Umweltbildungszentrum
Dieser Beitrag erschien zuerst in „Stadt mit A“, Ausgabe 60.
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