Norbert Stamm: Die Zahl der Agendaforen hat sich allerdings von 2006 bis heute verdreifacht, von 10 auf 29. Diese Foren sind ja das zivilgesellschaftliche Rückgrat des Nachhaltigkeitsprozesses…
Ute Michallik: …diese Erfolgsgeschichte freut mich riesig! Wir sind mittlerweile attraktiv für Menschen, die am zukunftsfähigen Augsburg mitarbeiten wollen, und neue Interessierte sagen jedes Mal: „Ich wusste gar nicht, dass es in Augsburg so einen tollen Prozess gibt!“ Mich begeistert auch immer die Lebendigkeit des Prozesses. 29 Agendaforen heißt ja nicht nur, dass neue Akteure dabei sind, sondern bedeutet auch, dass ganz neue Themen bearbeitet werden. Beispiele wie „Lebensraum Schwabencenter“, „Urban Gardening“ oder „Plastikfreies Augsburg“ zeigen die tolle Vielfalt.
Norbert Stamm: Ein Meilenstein im Prozess war 2011 der erste Augsburger Nachhaltigkeitsbericht . Er zeigte, was in Politik, Verwaltung, Wirtschaft und Zivilgesellschaft alles geleistet wurde. Und er war die Grundlage für die erfolgreiche Bewerbung um die Auszeichnung Augsburgs mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis als nachhaltigste deutsche Großstadt. Ich weiß noch, wie du mich bei der ersten – gescheiterten – Bewerbung 2012 getröstet hast, weil Freiburg gewonnen hat und wir „nur“ unter den ersten drei waren. 2013 hat es dann aber geklappt…
Ute Michallik: Der deutsche Nachhaltigkeitspreis war für mich einer der Höhepunkte der gemeinsamen Arbeit – darüber war ich richtig glücklich. Er hat bestätigt, wie wichtig es ist, die Nachhaltigkeit auch in das Verwaltungshandeln einzubinden. Das ist sehr mühselig und es sind viele Widerstände zu überwinden, aber ohne diese Überzeugungsarbeit wird sich nichts verändern. Der Titel hat aber auch vor Ort viel bewirkt, weil für viele Verantwortliche damit sichtbar wurde, was in Augsburg schon getan wurde und welch hohes Ansehen wir bundesweit genießen! Der Name „Augsburg“ fällt sofort bei Fachleuten, wenn es um kommunale Ansätze bei der Nachhaltigen Entwicklung geht. Damit hat die Arbeit der Lokalen Agenda 21 in Augsburg einen höheren Stellenwert bekommen. Und die ehrenamtlichen Akteure hat das natürlich sehr motiviert. Davon abgesehen, dass durch das Preisgeld auch der Lifeguide ermöglicht wurde! Wir haben jetzt ein Internetportal für nachhaltiges Leben in Augsburg und der Region.
Norbert Stamm: Was hältst du von neuen „Zukunftsleitlinien für Augsburg“?
Ute Michallik: Mit den Zukunftsleitlinien, die vom Stadtrat mit großer Mehrheit verabschiedet wurden, haben wir jetzt einen langfristigen Kompass, an dem wir Entscheidungen überprüfen können. Die 75 Ziele für eine nachhaltige Entwicklung unserer Stadt sind eine tolle Sache. Jeder Beschluss des Augsburger Stadtrats orientiert sich an diesen Zukunftsleitlinien.
Besonders wichtig sind mir zum Beispiel im Zusammenhang mit meinen Projekten Papierwende und Fairtradestadt die Ziele „Energie- und Materialeffizienz verbessern“ und „Soziales und ökologisches Wirtschaften fördern“.
Bei den Zukunftsleitlinien war zunächst der Prozess des gemeinsamen Erarbeitens, das Ringen um Ziele und Maßnahmen, sehr wichtig. Wir hatten von März 2014 bis Juli 2015 einen lebendigen Austausch mit anderen Akteuren aus der Gesellschaft und konnten damit unser Blickfeld weiten. Ein großer Fortschritt war die Erweiterung der drei bisherigen Handlungsfelder – Ökologie, Ökonomie und Soziales – um die Kultur. Wir leben ja auf viel zu großem Fuß. Und dieser Lebensstil ist auch kulturell geprägt. Deshalb ist Kultur als viertes nachhaltiges Handlungsfeld auch so wichtig. Diese Argumentation hat nicht auf Anhieb alle überzeugt, aber nach intensiven Diskussionen schon.
Norbert Stamm: Lokale Agenda 21– das ist so ein schwieriger Begriff, den auf Anhieb niemand versteht. In Augsburg ist er in Politik und Teilen der engagierten Zivilgesellschaft und Verwaltung mittlerweile bekannt. Du hast immer davon geträumt, dass es einen schöneren, leicht verständlicheren Begriff gibt…
Bei den Zukunftsleitlinien sehen wir ja, wie komplex das Thema ist, es lässt sich einfach nicht auf ein griffiges Schlagwort reduzieren. Das läuft dem politischen Trend zur Vereinfachung völlig entgegen. Uns bleibt nichts anderes übrig, als immer wieder an alltäglichen Themen zu zeigen, wie alles zusammenhängt – und sei es die Abholzung des Regenwaldes für unser Toilettenpapier…
Norbert Stamm: Wie beurteilst du die Entwicklung Richtung Nachhaltigkeit in und um Augsburg in den letzten zwölf Jahren?
Es hat sich viel getan, die Vernetzung wird vor allem immer besser. Das zeigt ein Blick in das aktuelle Programm der „Wochen der Nachhaltigkeit im Wirtschaftraum Augsburg“ Hier beteiligen sich viele Akteure aus ganz verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen mit aktuellen Themen. Das geht in die richtige Richtung.
Norbert Stamm: Was brauchen wir für die Zukunft?
Wir brauchen von allem mehr: mehr Engagierte, vor allem aus der jungen Generation, mehr politische Unterstützung, mehr Bewusstsein in der Bevölkerung, mehr Aufmerksamkeit in den Medien und natürlich mehr Geld.
Norbert Stamm: Wie geht es für dich jetzt weiter?
Als ehrenamtliche Geschäftsführerin des Augsburger Weltladens steht für mich im Moment dessen Zukunftsfähigkeit im Vordergrund. Der Faire Handel mit seiner ehrenamtlichen Struktur steht auch in Augsburg vor großen Herausforderungen, für die wir ganz aktuell Lösungen finden müssen. Wenn wir hier einen Schritt weiter sind, kann ich wieder mehr für die Lokale Agenda 21 tun. Für die familiäre Zukunftsfähigkeit sorgen meine Kinder mit den Enkelkindern. Wenn es zeitlich geht, möchte ich hier großmütterliche Unterstützung bieten.
Norbert Stamm: Schön, dass du weiter dabei bist – auch wenn es zeitlich für dich gerade schwierig ist. Es muss ja weitergehen. Es gibt noch so viel zu tun.