Geld & Finanzen

Mikrokredite auf den Philippinen

Ein gesicherter Lebensunterhalt für die Familie bedeutet auch Bildung für die Kinder. Eva Bahner vom Oikocredit Förderkreis Friedberg reiste auf die Philippinen. In ihrem Gastbeitrag berichtet sie von den Erfolgen der Mikrokredite vor Ort.
„Men at work“: 40 junge Männer bekommen ihr staatliches Diplom im Rahmen einer feierlichen Verleihung. Foto: Eva Bahner/Oikocredit

Oikocredit vergibt weltweit Mikrokredite. Wir haben im Lifeguide bereits über die Arbeit der Genossenschaft auf den Philippinen berichtet. Eva Bahner vom Oikocredit Förderkreis Bayern/Friedberg reiste für zwei Wochen auf die Philippinen. In ihrem Gastbeitrag für den Lifeguide schildert sie Eindrücke von Land und Leuten und berichtet von den Erfolgen der Mikrokredite vor Ort.

 

Der Süden - Reichtum und Fluch Mindanaos

Über 30 Stunden Flug von München nach Davao, der Hauptstadt der Insel Mindanao mit zwei Millionen Einwohnern. Eindeutig zu lang für mich – aber Menschen und Natur dieser Insel lassen schnell alles vergessen. Um alle Klischees zu bedienen – ja, die Menschen lächeln einen unglaublich oft an und auch sofort zurück, sie sind unwahrscheinlich freundlich und hilfsbereit, es wird Rücksicht aufeinander genommen. In den Bus einsteigen und einer älteren Frau, die mit Taschen beladen ist, nicht helfen? So schnell kann ich gar nicht schauen, wie ein Mann im Bus aufsteht und auch schon zugreift. Essen, Getränke oder andere Waren Touristen aufdrängen? Habe ich nie erlebt, auch wenn ich gerade im Süden ganz sicher als Touristin zu erkennen war. Müll in den Straßen? Auch wenn es typisch deutsch ist, dass es mir in vielen Städten sofort auffällt - und mich stört – in Davao gibt es das kaum. Leider reichen zwei Tage nicht, um mehr als einen kurzen Eindruck von der Stadt zu erhalten aber ein Tipp, nicht nur für Kulturinteressierte, ist das „Museo Davaeno“, das von der Kolonialgeschichte über indigene Völker bis hin zu typischen Bauformen und Kunsthandwerk sowie dem Weg zur Unabhängigkeit einen wunderbaren Überblick über die kulturelle Vielfalt der Insel gibt.

 

Auf der Busfahrt nach Kidapawan sehe ich einiges vom Reichtum der Insel – fruchtbare vulkanische Böden, Felder mit Bananen, Kokospalmen oder Ananas, an den Hängen der Berge tropische Regenwälder, in denen noch der philippinische Adler lebt. Allerdings komme ich auch schon an Versuchsflächen von Monsanto, Bayer oder Syngenta vorbei. Sie bauen hier Reis an. Und ich sehe die Plantagen der großen Lebensmittelkonzerne, wo Bananen und Palmöl wachsen. Nicht zu sehen sind die Wunden, die der Bergbau (Gold, Kupfer) oder illegale Abholzungen reißen – vor allem in den Gebieten der meist muslimischen, indigenen Völker.

 

Die indigene Bevölkerung wird in unfruchtbare Regionen abgedrängt

Ich besuche die Nichtregierungsorganisation ICON-SP (Intercultural Organizations´ Network for Solidarity and Peace), die im Spannungsfeld von muslimischer Bevölkerung, Indigenen und christlichen Siedlern arbeitet und erhalte Einblicke in ein schwieriges Arbeitsumfeld: Der schwelende Konflikt zwischen muslimischer Minderheit und katholischer Regierung und die Situation der Indigenen. Letztere werden immer noch häufig als Menschen zweiter Klasse gesehen, haben keine Möglichkeit für eine Schulbildung in ihren Sprachen und werden von Siedlern, Bergbau- und Agrarkonzernen immer weiter in die unfruchtbareren Regionen verdrängt. Ein Ende dieser Situation, bessere Minderheitenrechte oder ein konsequenter Schutz ihrer Gebiete ist nicht in Sicht. Und so werden wohl auch die Proteste, Kundgebungen und die Unabhängigkeitsbestrebungen gerade der muslimischen Bevölkerung weitergehen. Aktivisten werden schnell als Islamisten oder Kommunisten abgestempelt. Es bleibt abzuwarten, ob die Regierung auch weiterhin gewaltsam gegen diesen Teil der Bevölkerung und ihre Forderungen vorgehen wird, oder ob sich mit dem neuen Präsidenten eine größere Rechtssicherheit für die große Mehrheit der Bevölkerung einstellt.

 

Im Norden - Manila, Luzon und die Mikrofinanzpartner von Oikocredit

Nach einer Woche auf Mindanao und einem kleinen Einblick in die Kultur der Filipinos mache ich mich auf den Weg, um von Manila aus die Partner der internationalen Entwicklungsgenossenschaft Oikocredit zu treffen. Oikocredit hat insgesamt 34 regionale Partner auf den Philippinen. Sie sind die Ansprechpartner für Kleinunternehmer*innen und Bäuer*innen vor Ort. Sie vergeben aber auch Kredite an Gemeinden und Genossenschaften.

 

Auf meiner Studienreise werde ich die Möglichkeit haben, nicht nur die Arbeit der Partner*innen vor Ort und ihre Zusatzangebote für Kreditnehmer*innen kennen zu lernen, sondern auch mit den Mikrofinanzkund*innen selbst zu sprechen. Eine wunderbare Gelegenheit, um zu sehen, ob und wie eine nachhaltige und soziale Geldanlage bei finanziell benachteiligten Menschen wirkt.

 

„Erschwingliche Kleinkredite, dafür ist der Bedarf auf den Philippinen nach wie vor hoch“, erzählt Tes Pilapil, die Leiterin des Regionalbüros in Quezon. Denn den konventionellen Investoren sind die Kreditbeträge häufig zu klein und das Risiko zu hoch. Dabei haben viele Organisationen, die Kleinkredite vergeben, eine große soziale Reichweite. „Community based development“, dieses Schlagwort der deutschen Entwicklungszusammenarbeit ist hier gelebte Wirklichkeit. Viele kleine Organisationen wurden schon vor der Diktatur von Präsident Marcos gegründet und haben sich zum Ziel gesetzt, die sozialen Ungleichheiten im Land zu verringern. Eine Mammutaufgabe, bedenkt man, dass das gesamte Land mehr oder weniger 140 Familien gehört….

 

Während einer Woche besuche ich zwei „alte“ Partner*innen von Oikocredit: CARD (Center for Agriculture and Rural Development) und ASKI (Alalay Sa Kaunlaran Sa Gitnang Luzon). Beide sind seit mehr als 15 Jahren Kreditnehmer von Oikocredit.

 

Heute erreichen sie 100.000 bzw. mehr als 2,5 Millionen Menschen, davon 97% Frauen. Eine davon ist Daisy Valdez. Sie erzählt uns, dass sie nach dem letzten Taifun, der ihre Kalamansi-Felder zwei Meter unter Wasser gesetzt hat, von CARD einen Zahlungsaufschub für ihren Kredit bis nach der nächsten Ernte erhalten hat: „Das war mir wichtiger als eine Versicherung und ich konnte meine Angestellten behalten“, erzählt Daisy Valdez.

 

Versicherungen für Kreditnehmer*innen

Überrascht bin ich, als ich erfahre, dass CARD etliche Tochterunternehmen hat – von Pharmaunternehmen, die für die Menschen erschwingliche Medikamente erzeugen, bis zu Mikroversicherungen. Mit ihren Kreditrückzahlungen erhalten die Kundinnen zum Beispiel für 30 Cent in der Woche automatisch eine günstige Lebensversicherung, die im Falle von Tod oder Krankheit einspringt und verhindert, dass die Familie bei einem Unglücksfall den Kredit weiterhin zurückzahlen muss. Für 10 Cent in der Woche können die Kundinnen eine Rentenversicherung abschließen, die es ihnen ermöglicht, ab 65 ein kleines, meist zusätzliches, Einkommen zu erhalten. Bei uns sind das staatliche Leistungen, die wir meist als selbstverständlich ansehen. Auf den Philippinen eine Sicherheit, die den allermeisten Menschen fehlt.

 

Bildung für die Kinder der Kreditnehmer*innen

Bei ASKI im Norden von Manila lernen wir ein Schulungszentrum kennen. ASKI vergibt nicht nur Schul- und Studienstipendien für die Kinder der Kreditnehmerinnen, sondern bietet auch Fortbildungen für die Kreditnehmerinnen selbst an. So werden den Besitzer*innen kleiner Sari-Sari-Läden, die unseren „Tante-Emma-Läden“ ähneln, in Finanzwesen, Buchhaltung sowie Ein- und Verkauf geschult. Daneben gibt es eine Genossenschaft, die kleine Läden aufbaut, in denen nicht nur die Erzeugnisse der Kreditnehmerinnen verkauft werden, sondern auch einfache Geräte zur Wasseraufbereitung, Solarleuchten oder Reis zu finden sind. Für die ärmsten Familien, die sich die Gebühren für Kindergarten und Schule nicht leisten können, wurden zwei Kindergartengruppen aufgebaut, die mit Hilfe der Erträge der angegliederten Unternehmen, wie zum Beispiel der  Genossenschaftsläden, unterhalten werden.

 

Men at work

Junge Männer ohne regelmäßiges Einkommen können in dem Programm „Men at work“ ein national anerkanntes Zertifikat erwerben, das ihnen ermöglicht, sich auch bei größeren, internationalen Unternehmen zu bewerben. Weil sie die Kursgebühr häufig nicht aufbringen können, leisten sie während des Kurses soziale Arbeitsstunden und realisieren ein Projekt, das die Dorfgemeinschaft festlegt. Ihre Arbeit zählt dann als Bezahlung des Kurses. Als wir zu Besuch waren wurde zum Beispiel gerade ein betonierter Dorfplatz gebaut. So profitieren nicht nur Einzelne von dem Programm, sondern das ganze Dorf. Und das fast ohne Geld…. So kann Wirtschaft und Wachstum also auch funktionieren!

Rolando Victorio, der Gründer von ASKI gibt uns einen sehr bedenkenswerten Satz mit auf den Heimweg: „Wir hören aufeinander, wir lernen voneinander und wir arbeiten miteinander“. So schaut eine demokratische, partizipative und selbstbestimmte Entwicklung für mich aus, die den Menschen zeigt, wie sie selbst ihre Zukunft gestalten und verbessern können. Nach diesen Tagen bei den Partnern von Oikocredit bin ich ein wenig stolz – auf die Arbeit der Kolleg*innen auf den Philippinen, die solche Partner*innen finden und auswählen. Aber auch darauf, Teil eines Netzwerks von über 54.000 Menschen zu sein, denen bei der Geldanlage nicht die Profitmaximierung sondern der soziale und ökologische Nutzen für Mensch und Umwelt wichtig sind.

 

Oikocredit

Oikocredit ist eine internationale Entwicklungsgenossenschaft, gegründet 1975. Oikocredit vergibt in 70 Ländern des Globalen Südens Kredite an ca. 800 Projekte.

 

Einzelpersonen und Institutionen können ab 200 Euro jeden beliebigen Betrag anlegen und erhalten eine jährliche Dividende von derzeit 2%.

 

Mehr Informationen zu der Arbeit von Oikocredit auf den Philippinen im Lifeguide-Artikel „Oikocredit vergibt weltweit Mikrokredite

 

Die Philippinen:

 

Manila: über 20 Millionen Einwohner, aus 17 Städten zusammengewachsen („Metro Manila“)

 

Fläche: 340.000 km² (Deutschland 357.000 km²)

 

7.107 Inseln formen die Philippinen, 880 davon sind besiedelt; die gesamte Küstenlänge beträgt ca. 36.000 km; geografisch gehört das Land zu Südostasien.

 

Teil des „pazifischen Feuerrings“ mit täglichen Erdbeben und hohem Risiko von Vulkanausbrüchen (20 aktive Vulkane, v.a. auf Luzon, der Hauptinsel) und Tsunamis.

 

Einwohner: 101 Millionen (Deutschland 80 Millionen), 180 Sprachen und Dialekte, 12% Indigene; 8 Millionen OFW (overseas filipino worker, v.a. in Hongkong, Singapur, Taiwan und arabischen Ländern oder auf Kreuzfahrtschiffen), 22 Millionen Hungernde, 60% der Menschen leben von weniger als 1,5 Dollar/Tag

 

Klima: Tropisch, in den Höhenlagen subtropisch mit einer durchschnittlichen Jahrestemperatur von 26,5°; jährlich bis zu 20 Taifune mit Spitzengeschwindigkeiten von 315 km/h.

 

Klimawandel: nach UN-Ranking „Gefährdung für Naturkatastrophen“ auf Platz 3

 

Biodiversität: eines der 17 artenreichsten Ökosysteme weltweit mit vielen endemischen (d.h. nur auf den Philippinen vorkommenden) Arten. Extreme Bedrohung aller Lebensräume durch Bergbau, Rodung tropischer Regenwälder, Bevölkerungswachstum und Ausbau der Infrastruktur. 10% der Landesfläche (Korallenriffe, Mangrovenwälder, Reste des Regenwalds, Seegrasfelder) sind streng geschützt.

 

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