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Buchtipp: Raus aus dem Rassismus

Tupoka Ogettes Buch „exit RACISM - rassismuskritisch denken lernen “ ist DIE Einführung in das Thema. Buchkritik von Norbert Stamm – Büro für Nachhaltigkeit der Stadt Augsburg.
Tupoka Ogette, Exit Racism, Rassismus, Cover: Unrast Verlag

Rassismus ist ein Thema. Heute. Hier. Ob wir Weißen Augsburgerinnen und Augsburger das wollen oder nicht. Denn einige Menschen in unserer Stadt leiden darunter. Das wollen wir nicht, und Rassismus wollen wir auch nicht. Also tun wir etwas dagegen.

Eine gute Einführung in das für alle schwierige Thema ist das 130 Seiten starke, handliche Buch von Tupoka Ogette. Die deutsche Autorin und Antirassismus-Trainerin beschreibt sich selbst als „Schwarzer Mensch, der in einer weißen Mehrheitsgesellschaft aufgewachsen ist.“

Zu allererst: Ogettes Buch ist sehr gut lesbar – und es funktioniert. Konzipiert ist es wie eine Art Workshop – Schritt für Schritt auf einander aufbauend, mit kurzen Infofilmen, Erfahrungen und Statements Betroffener, mit Frage-Antwort-Runden dazwischen und Feedback von Sudierenden. Angenehm ist auch, wie die „Workshopleitung“ Tupoka Ogette uns Lesende freundlich an die Hand nimmt, trotz des schmerzlichen Themas.

 

Wir leben in Happyland

Diesen Begriff für unser Weißes sorgloses, naives, hoffnungsfrohes Dasein pflanzt Tupeka Ogette uns ins Hirn. Und wir kommen nicht mehr los davon. Auch wenn für jede und jeden von uns Weißen nicht alles happy ist, aber eines ist sicher: wer Weiß ist, hat Privilegien gegenüber Schwarzen und People of Colour (PoC). Diese hier kursiv und groß geschriebenen Begriffe zeigen an, dass einige Gedankengänge bei der Benutzung dahinterstecken.

Schwarze und PoC sind Selbstbezeichnungen. Von Menschen, die unter Rassismus leiden. Unter alltäglichen, teils nett gemeinten, aber anstrengenden, teils böswilligen und traumatisch verletzenden Ansprachen und Ausgrenzungen. Verletzungen und Beeinträchtigungen, die die Weiße Mehrheitsgesellschaft oft nicht mitbekommt.   

 

Ich ein Rassist?

Sehr ungern. Aber leider ja: als Teil und Nutznießer*in des strukturellen, institutionellen Rassismus. Dem entkommt jemand Weißer nicht, auch wenn er gerne möchte. Ogette beschreibt in Exit RACISM fünf Phasen im Umgang mit eigenem Rassismus: Sorglosigkeit, Abwehr, Scham, Schuldgefühl und Anerkennung.

Exit RACISM schildert Deutschlands Beteiligung am Kolonialismus – im Schnelldurchlauf. Ogette weist auf die im 19. Jahrhundert dazu entstehenden Rassetheorien und auf das rassistische Denken berühmter Philosophen hin. Sie benennt auch die fatale, weil dominierende Wirkung, die Deutschlands nazistische Vergangenheit für uns Nachgeborene bei der Auseinandersetzung mit dem Rassismusthema hat.

 

Was tun?

Tupoka Ogette gibt zum Schluss 11 Tipps für einen rassismuskritischen Alltag, darunter: Wissen ist Macht - Informiere dich. Oder: "Sprich nicht FÜR, sondern MIT Schwarzen Menschen und People of Color."

Sprich Rassismus an, wenn Du ihn erkennst. Immer. Nicht, weil Du damit Schwarzen Menschen und PoC „helfen“ willst, sondern weil DU nicht in einer Gesellschaft leben möchtest, in der Rassismus zum Alltag Deiner Mitmenschen gehört. Denke dabei an den Spruch von Martin Luther King: ‘In the end, we will not remember the words of our enemies but the silence of our friends‘“ Tupoka Ogette

Ogette empfiehlt außerdem: Auch wenn das Thema Rassismus Unwohlsein auslöst, wechsle nicht das Thema. Erkenne an, dass du als WeißeR Privilegien genießt, um dann diese Ungerechtigkeiten ändern zu können.

Wir alle können nichts für die Welt in die wir hineingeboren wurden. Aber jede und jeder kann Verantwortung übernehmen und diese Welt mit gestalten." Tupoka Ogette  

Und Augsburg? Mittendrin.

Viele sind stolz auf die Fugger-Welser-Vergangenheit der Stadt. Dieses Erbe ist im Blick auf die Beteiligung dieser Handelsfamilien am Sklavenhandel des 16. Jahrhunderts  problematisch. Das Fugger-Welser-Erlebnismuseum lässt das nicht außer Acht. Aber das Bisherige dort reicht nicht. 

Der Streit um den historischen Namen unseres „ersten Hotels am Platz“ in Augsburg, dem Drei Mohren, war heftig. Drei Mohren ging nicht mehr. Denn nach der Definition von Rassismus ist es nicht ausschlaggebend, warum das Hotel seinen Namen erhielt – die Motive waren keineswegs rassistisch. Im Gegenteil: das Hotel ehrte mit dem Namen drei abessinische Mönche , die im 15. Jahrhundert in Augsburg Halt machten – der Name steht für Toleranz und Offenheit. ABER: Ausschlaggebend nach der Definition von Rassismus ist die Wirkung, die so ein Name erzeugt. Und zwar besonders die negativen, verletzenden Wirkungen – und diese gab es. Seit dem Sommer 2020  heißt das Hotel Maximilian’s. Ich hätte Drei Mönche bevorzugt, das hätte eine historische Anknüpfung ermöglicht...   

Auch unsere deutschlandweit bekannte Puppenkiste und deren beliebtester Held, Jim Knopf, kann rassistisch wirken – wenn Schwarze Kinder so bezeichnet werden und dies als verletzend erfahren. Das berichtet jüngst Moderatorin Shari Reeves (von „Wissen macht Ah!“) rückblickend bezogen auf Erfahrungen ihres Bruders. Auch hier gilt es wieder zu differenzieren: Michael Endes Kinderbuch hat seinen Ursprung in der wahren Geschichte des Sklavenjungens Jemmi Button und in Endes tief verwurzelter Abscheu der rassistischen Ideologie der Nationalsozialisten. Siehe die Dissertation von Julia Voss. Aber auch hier gilt: Ausschlaggebend nach der Definition von Rassismus ist nicht die (gute) Absicht, sondern die Wirkung, die die Figur von Jim Knopf erzeugt.  

 

Augsburg – auf dem Weg

Es gibt aber auch Ermutigendes aus Augsburg zu berichten: 19 unserer Schulen in Augsburg sind offizielle „Schulen ohne Rassismus – Schulen mit Courage“. Das lässt hoffen.

Auch die antirassistische Bildungsarbeit läuft. Das Büro für gesellschaftliche Integration im Referat für Bildung und Migration hat 2020  eine Diversity-Information herausgegeben, die 46 wichtige Begriffe erläutert und so die Diskussion erleichtern soll.

Bei der Stadt Augsburg wird gerade die Zentrale Antidiskriminierungsstelle nach dem AGG  eingerichtet, die der Stadtrat im Juli 2019 beschlossen hat.

Auch Augsburgs Agendaprozess, in dem zahlreiche Weltverbessererinnen und Weltverbesserer aktiv sind, wird sich mit Rassismus befassen. Anders ist eine zukunftsfähige, gerechte Welt nicht zu haben.

Auch wenn Georg Seeßlen, ein hervorragender Film- und Kulturkritiker, am 30.6.2020 in der ZEIT unsere Weiße Situation so zusammenfasst:

Nicht rassistisch zu sein in einer Gesellschaft, die immer noch rassistisch geprägt ist, und in einer Kultur, die immer noch nicht mit dem rassistischen Erbe umzugehen gelernt hat, ist unmöglich.“Georg Seeßlen, Kritiker

Aber anfangen, es zu ändern müssen wir trotzdem. Es wird wehtun. Das sagt auch Tupoka Ogette. Und nimmt uns mit diesem Buch entschlossen und hilfreich an die Hand. Danke sehr.

Dr. Norbert Stamm

INFO:

Foto: Unrast-Verlag
Tupoka Ogette ist eine deutsche Antirassismus- und Diversity-Trainerin sowie Autorin. Sie arbeitet in der rassismuskritischen Bildungsarbeit. Ogette wurde 1980 in Leipzig geboren und ist in Berlin aufgewachsen. Sie studierte Afrikanistik und Wirtschaftswissenschaften. Als „Schwarzer Mensch, der in einer weißen Mehrheitsgesellschaft aufgewachsen ist“ sagt sie:
 "Wir alle können nichts für die Welt in die wir hineingeboren wurden. Aber jede und jeder kann Verantwortung übernehmen und diese Welt mit gestalten."

  • „Exit RACISM“, Erstveröffentlichung 12.Juli 2018, liegt gerade in der 8. Auflage vor und kostet im Buchhandel 12,80 Euro.
  • ISBN: 978-3-89771-230-0
  • auch als Hörbuchfassung erhältlich
  • Das Buch gibt es inzwischen auch in der Stadtbücherei Augsburg zur Ausleihe.

 

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