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„Mein Auto, mein Kleid, mein Hähnchen“

Gelesen und gelernt: die Studie von Brot für die Welt

Wer zahlt die Kosten für unseren grenzenlosen Konsum? Wir ahnen es, die Studie belegt es. Es bezahlen vor allem Menschen, die fernab wohnen: Minenarbeiter in Brasilien, die das Erz abbauen, aus denen deutsche Autos gebaut werden; Näherinnen in den Textilfabriken Bangladeshs; und Kleinbäuerinnen und -bauern  in Paraguay, die von ihrem Land vertrieben wurden, um dort Futtersoja anzubauen.

 

Wir wissen das im Groben. Diese Broschüre von 2016 erläutert den Fußabdruck unseres Konsums an drei Beispielen – auf jeweils 10 bis 14 Seiten, versehen mit übersichtlichen Grafiken. Die Broschüre zeigt kurz, klar und verständlich, wer die Last für unseren Konsum trägt. Außerdem ist sie kostenlos. Nach der Lektüre dieser Studie wissen wir nicht mehr nur im Groben, was falsch läuft, sondern in Zahlen und Details.

 

Thema globale Hühnerproduktion

Der Skandal mit den nach West- und Zentralafrika exportierten europäischen, darunter auch deutschen Hühnerteilen ist einigen sicher bekannt: bei uns bleiben die Filetstücke, vielleicht noch die Schenkel – aber Flügel, Hals, Innereien, Köpfe und Füße werden von den großen Herstellerkonzernen nach Afrika verkauft. Trotz weiter Entfernungen und aufwendigem Transport (Stichwort: Kühlkette) sind sie dort billiger als ganze Hühner aus der eigenen Region. Folge: zwar konnten sich mehr Menschen jetzt Hühnerteile leisten, doch die lokale Hühnerproduktion brach zusammen, 90 Prozent der heimischen Fleischproduzent*innen gaben auf. Weitere Folge neben Verarmung: Krankheiten, denn öfter waren die Teile stark mit Salmonellen verseucht, da die Kühlkette nicht eingehalten wurde. Gegenwehr gelang erst, als die Regierungen von Kamerun oder Senegals Importbeschränkungen bzw. -verbote aussprachen. Dort erholt sich die lokale Hühnerproduktion seitdem langsam wieder.

 

Was tun?

Weg von der industrialisierten Hühnerproduktion bei uns, zurück zu kleinen und lokalen Haltungen. Wer bei uns Tiere mästet, sollte auch deren Futter anbauen, statt beispielsweise Futtersoja aus Paraguay zu verwenden – das würde hierzulande zwar die Produktion senken, die Preise erhöhen und den Hühnerfleischkonsum reduzieren. Aber es würden weniger Antibiotika eingesetzt und Exporte vermieden. Dürften alle Entwicklungs- und Schwellenländer Billigimporte untersagen, könnte sich in den afrikanischen Ländern die lokale Produktion wieder besser entwickeln. Freihandel ist also nicht gleich fairer Handel, sondern manchmal das Gegenteil. Ich weise in diesem Zusammenhang auf die Vorläufer von TTIP in Afrika hin,  die EU-Freihandelsabkommen EPA mit afrikanischen Staaten.

 

Nächstes Thema der Studie: der Preis der Kleidung

Auch das ist hinreichend bekannt: Beim Anbau der Baumwolle, der Herstellung von Chemiefasern, der Veredelung und der Konfektionierung wird in der Ferne oft gegen grundlegende Menschenrechte verstoßen – Zwangs- und Kinderarbeit, viel zu lange Arbeitszeiten, keine existenzsichernden Löhne, mangelnde Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz, Unterdrückung von Gewerkschaften.

 

Die Studie bringt Beispiele aus Indien, Bangladesh und Kambodscha, beziffert den Einsatz von 2,4 kg Chemikalien bei der Herstellung von einer Jeans und wer wie viel an einem T-Shirt verdient – die Näherin z.B. nur 1% des Preises. Verantwortung dafür tragen die Handelsunternehmen unserer reichen Länder, die Hersteller*innen vor Ort und ein wenig auch wir Konsumierenden – denn es gibt mittlerweile immer mehr Alternativen. Aus Augsburger Sicht: bei uns wird selbst wieder Kleidung hergestellt, von manomama (diese ist sogar Bioland-zertifiziert). Außerdem bieten degree und diverse kleinere Läden Kleidung an, die in Europa hergestellt bzw. mit vertrauenswürdigen Siegeln wie Fair Wear, Fairtrade Baumwolle, GOTS ausgestattet sind. In unserem nachhaltigen Lifeguide-Shopping-Rundgang findest du viele tolle Bekleidungsläden. Aus der Region sind z.B. Schöffel aus Schwabmünchen und deuter aus Gersthofen Mitglied der Fair Wear Foundation. Doch zurück zur Studie: Der Marktanteil von GOTS-zertifizierter Kleidung liege bundesweit bei 0,02 Prozent, so das Umweltbundesamt; das dürfte auch für Augsburg gelten – jedes 5.000 Kleidungsstück also.

 

Was tun?

Alternative Einkaufsmöglichkeiten habe ich ja schon beschrieben. Außerdem sollten alle Unternehmen in der gesamten Lieferkette auf gute Arbeits- und Gesundheitsbedingungen achten. Das ist äußerst kompliziert, muss aber sein. Ein erster Schritt dahin wäre die Konzentration der Unternehmen auf langfristige, stabile Beziehungen mit möglichst wenigen Lieferanten – so macht es zum Beispiel deuter. Zweitens sollten Bundestag und Bundesregierung sich nicht mit freiwilligen Selbstverpflichtungen von Unternehmen begnügen. Und  Kommunen, Schulen oder Kindergärten sollten immer möglichst hohe soziale und ökologische Standards einhalten. Wir Shopper*innen schließlich sollten weniger und wohl gezielter einkaufen, und dabei vor allem auf Siegel wie die obengenannten Fairwear, Fairtrade und GOTS achten. Oder Second-Hand-Kleidung erstehen, da gibt es immer mehr Verkaufsstellen. Einfach hier im Lifeguide den Suchbegriff "second hand" eingeben".Und wir haben noch einen großen Vorteil: mit der Aktion Hoffnung, ihren Kleiderbehältern und Sammelaktionen, haben wir in und um Augsburg eine lokale gemeinnützige Wiederverwerterin gebrauchter Kleider.  

 

Neues über unser teuerstes Stück: das Auto

Wer weiß, woher die Teile, aus denen unsere Autos bestehen, kommen und unter welchen Bedingungen sie hergestellt sind? Niemand. Frag mal deine*n Autoverkäufer*in - sie werden es auch nicht wissen. Sind ja auch zwischen 10.000 und 40.000 Teilchen pro Pkw. Die Broschüre bringt etwas Licht ins Dunkel. Über die Bedingungen bei der Endmontage z.B. in Ingolstadt sind wir vielleicht noch gut informiert, auch über die Produktion mancher Komponenten (bei Bosch etc.). Aber den Rohstoffabbau und dessen Verarbeitung? Die Studie benennt: Zwei Drittel des Gewichts eines Mittelklassewagens sind Stahl und Eisen, knapp 10% Leichtmetalle wie Aluminium, 3% Buntmetalle wie Messing und Kupfer und Kunststoffe ca. 17%. Sie zeigt auch beispielhaft, wo diese Rohstoffe herkommen und unter welchen Bedingungen sie abgebaut bzw. hergestellt wurden. Sie benennt Menschenrechtsverletzungen und Verarmung z.B. in Peru, woher ca. ein Viertel der deutschen Kupferimporte stammen. Und die Aussichten sind nicht rosig – denn in zukünftigen Elektroautos werden auf Grund der Batterietechnik noch mehr Rohstoffe verbaut sein.

 

Was tun?

Spontan gesagt: möglichst Fahrradfahren, denn da sind deutlich weniger Rohstoffe verbaut. Die Studie schlägt vor: Autos teilen. Kleinere Autos bevorzugen, denn auch da sind weniger Rohstoffe drin. Und beim Händler oder Hersteller mal nach den Menschenrechten in der Produktionskette fragen. Das wird erst mal auf Schulterzucken und Erstaunen stoßen; wenn es aber öfter vorkommt, werden sie immer genauere Antworten geben wollen. Am wichtigsten wären politische Änderungen: Standards sollten nicht mehr freiwillig von Wirtschaftsverbänden vereinbart werden, sondern vom Bundestag gesetzlich vorgeschrieben werden. Dass Politik diesen Weg geht, dazu braucht es mehr Druck von mehr Menschen. Genau dazu will die Studie von Brot für die Welt beitragen.

Gegen wirtschaftliches Wachstumsdogma propagieren immer mehr politisch engagierte Menschen Lateinamerikas eine Rückbesinnung auf indigene Lehren. In deren Zentrum steht der Übergang von einer Weltsicht, bei der das Individuum im Mittelpunkt steht, zu einem Weltbild, das die Einbindung des Menschen in eine Gemeinschaft und seine Umwelt betont. Hierzu findet sich ein doppelseitiges Interview mit Alberto Acosta, Wissenschaftler und einst Energieminister Ecuadors. Das Konzept des guten Lebens biete keine globale Blaupause. Es beschreibe eher Wege, die sich beim Gehen offenbaren und die Menschen in ihren Gemeinschaften erkunden müssten. Klar sei: es gelte, die Armut abzuschaffen und den Wohlstand radikal umzuverteilen.

Damit nicht länger fernab Menschen die Kosten für unseren grenzenlosen Konsum zahlen.

Hier geht es zu der Brot für die Welt Studie Mein Auto, mein Kleid, mein Hähnchen

 

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INFO: Dieser Artikel erschien erstmalig am 24.10.2016 im Lifeguide

 

 

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