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Buchtipp: Ulrich Grobers Entdeckung der Nachhaltigkeit

"Beeindruckende Lektüre", so das Urteil von Norbert Stamm. Ulrich Grobers kenntnisreiche Schilderungen reichen von Franz von Assisis Sonnengesang bis zur Bildung des Begriffs „nachhaltige Entwicklung“ in der Gegenwart.
Die Erde vom Weltall aus gesehen. Foto piro4d, Pixabay, Weltall

Da bin ich jahrelang im Nachhaltigkeitsdiskurs unterwegs und dachte, ihn drauf zu haben: Carl von Carlowitz‘ forstwirtschaftliche Definition aus dem Jahr 1713: "Es darf immer nur so viel Holz geschlagen werden, wie durch planmäßige Aufforstung, durch Säen und Pflanzen nachwachsen kann." Oder die etwas langatmige Formel der norwegischen Ministerpräsidentin Gro Harlem Brundtlands von "der Lebensweise, die Bedürfnisbefriedigung sowohl heute wie auch in aller Zukunft ermöglichen soll".

 

Schließlich unsere mutige Augsburger Definition mit den vier Dimensionen der Nachhaltigkeit: ökologisch, sozial, wirtschaftlich, kulturell – mutig deshalb, weil „Kultur“ sonst zumindest kommunal nicht so plausibel und definiert selbstverständlich als wesentlicher Teil nachhaltiger Entwicklung verstanden wird. Doch das Buch von Ulrich Grober belehrt mich eines Besseren, und das leicht und informativ.

 

Von Franz von Assisis Sonnengesang zur „nachhaltigen Entwicklung“

Grobers Erzählen übt einen Sog aus, wie er die Begriffsgeschichte nachzeichnet. Natürlich ist die nahe Vergangenheit das Spannendste: wann kam der Begriff ‚nachhaltige Entwicklung‘ denn nun auf? Und wer hat eigentlich dieses beliebte, aber verfängliche Bild der drei Säulen geprägt? Aber auch die oft zitierte forstwissenschaftliche Herkunft erfährt eine Erhellung, wenn Grober sie bis ins spätmittelalterliche Venedig zurückführt. Wichtige Gedankengänge sieht er noch weit früher – vor allem in Franz von Assisis Sonnengesang.

 

Waldbau, Raumfahrt, Naturschutz, Eine Welt…

Die Forstwissenschaft war im 18. Jahrhundert eine Wirtschaftswissenschaft – „nachhaltig“ war ein wirtschaftliches Vorgehen, nicht so sehr ein ökologisches. Die wirtschaftliche Ausbeutung der Erze in den Berggängen brauchte Stützbalken, die Feuer zum Herauslösen der Metalle aus dem Gestein Brennstoff. Doch das war nur der Ausgangspunkt: Grober beschreibt die forstwirtschaftliche Verbreitung nachhaltigen Waldbaus in den folgenden Jahrhunderten weltweit – in Japan, Frankreich, Indien, Skandinavien, den USA… Zusätzlich zur forstwirtschaftlichen Praxis an verschiedenen Orten entwickelt sich das Denken in Richtung Ökologie. Von „wise use“, dem weisen Gebrauch der Wälder, ist die Rede. Ästhetik kommt ins Spiel.

 

conservare - bewahren

Dann der große Einfluss der bemannten Raumfahrt: das Bild des „Aufgangs der Erde“, earthrise – der überwältigende Anblick unseres so schönen, so zerbrechlichen, so besonderen Heimatplaneten – von Astro- und Kosmonauten erlebt und weitergeben. Der Menschheit wird ihr Planet bewusst.
Schließlich die Debatte um ‚conservation‘, Bewahrung der Natur, Ende der 70er Jahre – einen Moment lang driftet der Begriff der Nachhaltigkeit Richtung „nachhaltiges Bewahren“. In der gleichen Zeit tragen jedoch lange kolonialisierte Länder ihren Anspruch vor, aufzuholen in Sachen Wohlstand. Entwicklung meint wirtschaftliche Entwicklung, meist gedacht als industrielle Entwicklung, ohne fesselnden Naturschutz. Auch hier dröselt Grober ruhig und kenntnisreich, mit genau der richtigen Dosis an Details und doch den Faden und die Spannung nicht verlierend, die damalige weltweite Diskussion auf…

 

Der Begriff Nachhaltigkeit - inhaltlich gewichtig und elastisch zugleich

Entwicklung meint nicht Wirtschaftswachstum. Lebensqualität meint nicht Lebensstandard. Gutes Leben hängt, nach Befriedigung der Grundbedürfnisse, nicht mehr von immer mehr Warenbesitz und -nutzung ab. Ästhetik, Kultur… sind wie selbstverständlich ein wichtiger Teil von Nachhaltigkeit.
Nachhaltigkeit als das Wort, das Grobers Einschätzung nach an Bedeutung eher noch gewinnen wird – inhaltlich gewichtig und elastisch zugleich. In Nachhaltigkeit sei alles enthalten, worauf es ankomme. Weshalb die Idee der Nachhaltigkeit unser „ursprünglichstes Weltkulturerbe“ sei. Das zu wissen und zu vermitteln ist unsere Aufgabe. Dabei hilft diese Kulturgeschichte.

 

Grober lesen!

Gut, dass das Buch gut greifbar ist. Erschienen zuerst 2010, ist die Taschenbuchausgabe von 2013 erfreulicherweise immer noch im Handel erhältlich. Und die Stadtbücherei Augsburg beherbergt ein Exemplar, die Uni-Bib zwei (in der Geographie und der Soziologie) und eins die Zentralbibliothek der Hochschule.

Details zum Buch http://www.aethic.de/2016/01/03/die-entdeckung-der-nachhaltigkeit/

 

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