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Buchtipp: Das Integrationsparadox

Warum gelungene Integration zu mehr Konflikten führt
Aladin El-Mafaalanis„Das Integrationsparadox“

Aladin El-Mafaalani hat ein reizvolles Buch geschrieben, das sich in ein paar Stunden am Stück lesen lässt. Mensch sollte anschließend aber noch mal nachlesen, denn es lohnt sich, sich einige Gedanken einzuprägen. Aber erst mal flutscht dieser 235 Seiten starke Essay gut runter, denn er ist schlüssig und interessant, bringt hier und da neue Gedanken bzw. bisher schon Gedachtes gut auf den Punkt.

 

Worum es in dem Buch geht...

El-Mafaalanis meistgebrauchtes Bild ist der gemeinsame Tisch: je mehr verschiedene Menschen es geschafft haben, mit am Tisch zu sitzen  - und niemand mehr auf dem Boden oder am Katzentisch sitzt - desto spannender wird es an diesem Tisch. Und wenn all diese Menschen dann nicht nur mitessen wollen, sondern auch mitreden, mitbestellen, mit entscheiden, was es gibt, am Ende die Tischregeln mitgestalten – dann wird es ricihtig interessant.

In dieser Phase seien wir jetzt in Deutschland. Der Zeit der Superdiversity. Des neuen Wir. Bereichernde und anstrengende Zeiten. Weder Monokultur noch Multikultur. Subjektive und objektive Realitäten klaffen auseinander. Es gibt mehr Dissonanzen, mehr Neuaushandlungen. Und Gespräche, die geführt werden müssen. Veränderungen geschehen nicht von heute auf morgen. Kultur, Identität und Zugehörigkeiten sind nicht beliebig wandelbar.

 

 

Konflikte zeigen Integration

Konflikte sind für ihn nichts Negatives. Sondern Teil sozialen Wandels, meist auf Grund des Strebens nach erweiterter Teilhabe oder „Integration“ oder wie auch immer man das bezeichnen möchte. Konflikte sind für ihn Ausdruck von Ansprüchen, auf Augenhöhe. Und auch populistische Schließungstendenzen sind ihm verständlich, wenn auch vergebens. Es gab und gibt keine konfliktfreien Gesellschaften. Auch wenn es zunächst paradox klingen mag: Gelungene Integration steigert das Konfliktpotenzial. Und: bei Integration handelt es sich um grundlegende, die Gesellschaft verändernde Konflikte.

 

 

Offene Gesellschaft

Immer wieder betont El-Mafaalani: so gut wie heute war es gesellschaftlich in Deutschland noch nie – nicht in den glatten Wirtschaftswunderzeiten und natürlich schon gar nicht während der Herrschaft des Nationalsozialismus, aber das ist ja klar. Nie sei die innere wie die äußere Offenheit in Deutschland größer gewesen. Und die Integration besser.

Auch wenn noch lange nicht alles gut läuft derzeit: endlich wieder ein optimistisches Buch. Mit jeder Menge interessanter Herausforderungen – na und? Migration die Mutter aller Problem? Nein, interessante Realität in der immer kleiner gewordenen globalen Welt, auch in Deutschland, auch in unserer Stadt, auch für uns.

Einfach zu benennen ist das alles nicht. Der Autor selbst ist ein gutes Beispiel: Aladin El-Mafaalani ist in Deutschland geboren und aufgewachsen, als Kind von eingewanderten Syrern. Er ist Deutscher, offiziell „mit Migrationshintergrund“. In anderen Bezeichnungen „nicht biodeutsch“, „deutschplus“ oder „neuer Deutscher“. Wissenschaftlich: „Postmigrant mit Mehrfachidentität“. Er bevorzugt vermutlich „Mensch mit internationaler Geschichte“. Egal - das alles ist heute deutsch und zeigt unseren Reichtum.

 

 

Teilen, nicht wachsen

Als Kernproblem sieht er nicht kulturelle Verschiedenheit, sondern die soziale Frage, wachsende soziale Ungleichgewichte. Auf die Frage, wie wir es denn schaffen können, diese Ungleichheit abzubauen oder zumindest erträglicher zu machen, auch ohne quantitatives Wachstum, vor allem Wirtschaftswachstum  - schlägt er qualitatives Wachstum vor und präzisiert: Wachstum nach innen. Zusammenwachsen.

 

Der Kuchen wird nicht größer, aber er soll gerechter verteilt werden. Zusammenwachsen ist ein Prozess, mit auch unbekanntem Ziel. Im positiven Sinne spannend. Es muss gewollt werden und erfordert einen langen Atem. Bevorzugte Formen sind Austausch und Kooperation, aber eben auch Streit. Gut integrierte Menschen streben nach Anerkennung und äußern ihre Interessen und Bedürfnisse offensiv. Treibende wie bremsende Kräfte sind wichtig in Veränderungsprozessen, die für die Beteiligten auch mühsam und zum Teil überfordernd sind. Entscheidend ist, wie Menschen bei alldem miteinander umgehen.

 

Nicht nur Aladin El-Mafaalanis Buch „Das Integrationsparadox. Warum gelungene Integration zu mehr Konflikten führt“ macht Furore. Als er im Januar 2016 auf Einladung des Bildungsbündnisses der Lokalen Agenda in Augsburg war und als Bildungsforscher über „Armut und Begabung“ referierte, war er noch Professor an der Fachhochschule Münster. Jetzt arbeitet er als Abteilungsleiter im NRW-Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration und kann die im Buch präsentierten Gedanken hoffentlich in Programme, Projekte und Taten umsetzen. Das lässt hoffen.

 

INFO

Aladin El-Mafaalani, Das Integrationsparadox. Warum gelungene Integration zu mehr Konflikten führt, KiWi-Paperback, ISBN: 978-3-462-05164-3, Erschienen am: 16.08.2018, 15,00 €

 

Aladin El-Mafaalani, 1978 im Ruhrgebiet geboren. Er studierte in Bochum Politikwissenschaft, Soziologie, Wirtschaftswissenschaft und Arbeitswissenschaft. Zunächst war er Lehrer am Berufskolleg Ahlen, später Professor für Politikwissenschaft und politische Soziologie an der Fachhochschule Münster. Von 2018 bis 2019 arbeitete er im nordrhein-westfälischen Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration in Düsseldorf. Seit Juli 2019 ist er Professor und Inhaber des Lehrstuhls für „Erziehungswissenschaft mit Schwerpunkt Erziehung und Bildung in der Migrationsgesellschaft“ an der Universität Osnabrück. Zugleich ist er ehrenamtlich Beauftragter des NRW-Integrationsministeriums in Fragen des muslimischen Engagements.
 

 

Überarbeitet am 10. Juni 2022

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