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Alternatives Wohnen im Tiny House

Wie viel Platz ist wirklich nötig?
Johann Steinhart, ökologisch Bauen, Augsburg, Tiny House, Foto: Johann Steinhart

Der Keller ist vollgestellt mit Dingen, die eigentlich niemand mehr braucht. Die Kinder sind erwachsen und aus dem Haus, die Kinderzimmer leer oder ungenutzt. In der mittleren Lebensphase haben Menschen oft zu viel Platz. Junge Leute hingegen können sich  kaum noch den Traum vom Eigenheim leisten. Das Tiny House kann die Lösung für all diese Probleme sein.

Was ist ein Tiny House?

Auf Deutsch bedeutet Tiny House nicht mehr als „winziges Haus“, und wird als Bezeichnung für transportfähige kleine Häuschen verwendet. Eine genaue Definition anhand der Wohnfläche gibt es in Deutschland aber nicht. In den USA gelten Häuser mit weniger als 38 Quadratmetern Wohnfläche laut Gesetz als Tiny Houses.

 

Tiny House Movement

Die Idee für die winzigen Häuser stammt ursprünglich aus den USA. Große Häuser gelten in den USA, wie auch in Deutschland und anderen westlichen Ländern, als Statussymbol für den steigenden Wohlstand. Die Wohnfläche von neu gebauten Einfamilienhäusern hat seit den 1990er Jahren stark zugenommen. Gleichzeitig hat aber die Anzahl der Personen, die in einem Haushalt zusammenleben, im selben Zeitraum stark abgenommen. Das bedeutet, dass weniger Menschen auf einer größeren Wohnfläche leben. Das Tiny House Movement, so heißt die gesellschaftliche Bewegung für winzige Häuser in den USA,  will diesem Trend entgegenwirken. Sie fordern eine bewusste Abkehr von dem Denken: "je größer, desto besser". Der bewusste Verzicht auf Wohnfläche bringt nämlich auch viele Vorteile mit sich.

 

Die Vorteile von Tiny Houses

Wer sich heutzutage ein Einfamilienhaus bauen will, sollte dafür Baukosten von mindestens 140.000 - 280.000 Euro einplanen. Dazu kommt das Grundstück – bei steigenden Grundstückpreisen. Ein einzugsfertiges Tiny House hingegen kostet durchschnittlich zwischen 40.000 und 80.000 Euro, je nach Hersteller und Ausstattung. Mit einem Mini-Haus kann sich der Traum von den eigenen vier Wänden also auch ohne Schuldenberg erfüllen.

Durch die geringere Wohnfläche sinken nicht nur die Anschaffungskosten, sondern vor allem auch die Nebenkosten. Heizen, Strom, Kühlung – hier hat das Tiny House einen erheblich niedrigeren Energieverbrauch. Das kommt nicht nur dem Geldbeutel, sondern vor allem auch der Umwelt zugute. Wohnen ist in Deutschland aktuell für 36 Prozent der CO2 Emissionen von Privatpersonen verantwortlich. Besonders schlägt dabei das Heizen zu Buche. Da die Emissionen mit der beheizten Wohnfläche ansteigen, ist das Tiny House zweifellos das umweltfreundlichste Eigenheim. Einige Hersteller bieten mittlerweile auch autarke Tiny Houses an, die sich über eine Solaranlage auf dem Dach selbst mit Energie versorgen. Wasser kann über eine Regenrinne in einem Auffangbehälter gesammelt werden.

Mit dem Tiny House sind theoretisch auch Umzüge möglich. Die meisten Modelle sind auf einem Fahrgestell mit Rädern verbaut, und können wie ein Anhänger von einem PKW transportiert werden. Der eingeschränkte Platz im Tiny House führt automatisch dazu, dass nicht unendlich viele Dinge dort untergebracht und angesammelt werden können. Ein weiterer positiver Aspekt für die Umwelt. Wer sich für Downsizing und Minimalismus begeistern kann, ist mit diesem Wohnkonzept also sicher gut beraten.

 

Das nachhaltige Tiny House made in Friedberg

Johann Steinhart aus Friedberg bei Augsburg hat ein ökologisches Tiny-Haus auf Rädern entwickelt. Der Unternehmer ist auf ökologische Baustoffe, wie Lehm, Kalk, Holz, Hanf und Climacell-Cellulose spezialisiert.

Es gibt für jede Aufgabe, die sich uns stellt eine ökologisch sinnvolle Lösung.“ Johann Steinhart, Ökologische Baustoffe.

Sein ökologisches Mini-Haus hat auf zwei Ebenen insgesamt 27.5 Quadratmeter Wohnfläche. Es wird mit portugiesischem Kork, recycleter Jute oder Maisfasern gedämmt und hat zweifach verglaste skandinavische Holzfenster. Ein spezieller Sandwichaufbau schützt sowohl vor Kälte als auch vor sommerlicher Hitze. Holzofen, Komposttoilette und ein geräumiges Bad sorgen für Komfort. Weitere Technische Details hier.

Die rechtliche Situation in Deutschland

Der Trend zum Tiny House ist schon lange auch in Deutschland angekommen. Beim deutschen Baurecht aber leider noch nicht. Bei der Grundstückssuche und der Genehmigung für die Minihäuser gibt es aktuell noch rechtliche Hürden. Wer seinen Erstwohnsitz in ein Tiny House verlegen möchte, braucht dafür zunächst ein Grundstück, wo das Mini-Haus dauerhaft abgestellt werden kann. In vielen Gemeinden entsprechen die winzigen Häuser aber nicht den engen Vorgaben im Bebauungsplan. Deshalb ist es aktuell noch schwierig, eine Genehmigung zu bekommen und einen passenden Platz für das Tiny House zu finden. Eine vorübergehende Lösung ist, das Tiny House auf einem Campingplatz abzustellen. Laut Gesetz darf ein Campingplatz zwar nicht als Erstwohnsitz angemeldet werden, aber manche Gemeinden machen hier eine Ausnahme.
Da das Tiny House mittlerweile in Deutschland sehr beliebt ist, gibt es eine aktive Gemeinschaft, die Tiny House Community, die nach Lösungen sucht.

 

Tiny House Community

Durch diese aktive Gemeinschaft sind in Deutschland bereits erste Siedlungen aus Mini-Häusern entstanden. Eine davon ist das sogenannte Tiny House Village im Fichtelgebirge. Auf einem ehemaligen Campingplatz mit  über 17.000 qm Grünfläche entstanden 35 Grundstücke für kleine Häuser. Derzeit wohnen 31 Menschen in dem Dorf. Ihr Ziel ist ein gemeinschaftliches Leben mit all seinen Vor- und Nachteilen. Einzelne Gruppen engagieren sich z.B. für Hühnerhaltung oder im Permakulturgarten.

Die Mitglieder des Tiny-House-Dorfes betreiben hier auch ein kleines Hotel. Interessenten können das Dorf also hautnah erleben, und eines von drei Häuschen zum Wohnen auf Probe anmieten. Ein virtueller Rundgang durch die zwei Tiny-Haus-Modelle Nordic Fjöll und Lill Stuga vermitteln einen ersten Eindruck.

Wohnen auf Probe

Vor dem Kauf eines eigenen Tiny Houses ist es sicher eine gute Idee, das vorher selbst auszuprobieren. Wie fühlt es sich an, auf begrenztem Raum zu leben? Ist genug Platz für eine ganze Familie? Wie kann man mit Freunden oder Familien feiern? Die Menschen im Fichtelgebirge haben diese Bedürfnisse  mit Hilfe eines Gemeinschaftshauses gelöst, das Sanitäranlagen mit Duschen, Toiletten, Waschmaschine und Trockner bietet. Geplant ist außerdem ein großer Gemeinschaftsraum mit Küche, geräumigem Tisch, Bibliothek, Yogaraum und Kreativwerkstatt.

Wem das Fichtelgebirge zu weit weg ist, findet auch in der näheren Umgebung Alternativen. Am Sternberg auf der Schwäbischen Alp gibt es beispielsweise die Möglichkeit, ein Tiny House zum Wohnen auf Probe anzumieten.

Unabhängig von Ort und Hersteller bietet das Wohnen auf Probe eine gute Gelegenheit zu erfahren, wie es sich anfühlt, auf begrenztem Raum zu leben. Auch für alle, die sich nicht vorstellen können dauerhaft in einem Mini-Haus zu leben, ist das Tiny House auf Probe der perfekte Zufluchtsort für einen entspannten Kurzurlaub. Und vielleicht regt der Aufenthalt zum Nachdenken darüber an, wie viel (Platz) und wie viel Besitz man wirklich braucht.

 

Die Autorin:

    

Annika Müller studiert an der Universität Augsburg Geographie. Mit viel Engagement hat sie sich am Lifeguide-Uniseminar 'Journalistisches Schreiben' beteiligt und ihren Abschlussartikel der Frage gewidmet: Wie viel Platz und wie viel Besitz brauchen wir wirklich?

                    

Wie können Wissenschaft und Gesellschaft voneinander profitieren?

Dieser Artikel entstand im Rahmen des Lifeguide-Seminares an der Universität Augsburg, das unsere Chefredakteurin Cynthia Matuszewski im Wintersemester 2019/2020 im Fachbereich Geographie anbot.
Die Kernfrage lautete: Wie können Wissenschaft und Gesellschaft voneinander profitieren? Einmal, indem sie so oft wie möglich miteinander sprechen und sich austauschen. Aber auch indem junge Wissenschaftler*innen in allgemein verständlicher Sprache von ihren Forschungsprojekten, ihren Forschungsfragen oder ihren Zukunftsmodellen berichten. Und lernen, sich einem Thema auf journalistischem Weg zu nähern. Im Laufe des Seminars wurde über Verständlichkeit gesprochen, über Recherche, Gegenrecherche, Überschriften, Teaser, Fotos und vieles mehr. „Das war eine inspirierende Zeit für mich mit sehr engagierten Studentinnen und Studenten. Es hat Spaß gemacht, mit ihnen in einer Uni-Redaktion zusammenzuarbeiten!“, berichtet Cynthia Matuszewski. Am Ende dieser vielversprechenden Zusammenarbeit lagen dem Lifeguide mehrere spannende Artikel vor, wie zum Beispiel über E-Scooternachhaltiges Kinderspielzeug oder das Unternehmen Ökobon. Im Laufe des Jahres 2020 werden sie alle veröffentlicht. Wir danken unseren engagierten Gastautor*innen und freuen uns auf ihre Beiträge!

 

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