sich engagieren

Die Aktiven des Augsburger Kulturpark West müssen umziehen

Über die Entstehung eines nachhaltigen Kulturkonzeptes
Reese Gelände, Augsburg, Foto: Cynthia Matuszewski

Wenn alles gut geht, soll demnächst ein Netzwerk aus selbstverwalteten Kulturpark-Filialen in vielen Stadtteilen Augsburgs unsere lokale Kulturszene bereichern. Das Gaswerk wird zudem Heimat für Kreative, Künstler*innen und das Augsburger Theater.

Von unserem Gastautor Jan-Lukas Friedewold

Zehn Jahre hat die Stadt Augsburg die Künstler*innen auf dem Reese Kasernengelände unterstützt. Für eine symbolische Jahrespacht von 500 Euro konnten sie dort arbeiten, schauspielern, musizieren, malen und vieles mehr. Der Kulturpark West hat die künstlerische Szene Augsburgs bereichert und inspiriert. Mit der gemeinnützigen GmbH des Kulturpark West (KuPa) entstand außerdem eine starke Selbstverwaltung. Die KuPa beheimatet über 1.500 Künstler*innen und Kreative. Darunter sind 220 Bands, 80 Bildende Künstler*innen, 20 Projekte, Gruppen oder Initiativen. Jetzt müssen alle Mieter*innen bis Juli 2019 ausziehen. Die Stadt braucht Wohnungen. Versprochen wurden den KuPa-Künstler*innen Räume im alten Gaswerk in Oberhausen.
Im März 2018 steht fest: 34 Aktive können Anfang 2019 umziehen. Und langfristig stehen auch die 5.000 Quadratmeter, die die Stadt den Künstler*innen zugesagt hat, zur Verfügung. Sie werden von der Stadt direkt an die Künstler*innen vermittelt. Parallel möchte die KuPa ihre Selbstverwaltung aufrechterhalten. Die KuPa-Aktiven wollen ein Netzwerk aus Filialen in Augsburg aufbauen. Das KuPa-Modell beinhaltet mehr Unabhängigkeit von städtischer Unterstützung. Ob es Vorbildcharakter hat, wird die Zukunft zeigen. Eine Chronologie und eine Bestandsaufnahme.


Vom alten Exerzierplatz zur Heimat von Kunst und Kultur

Der Kulturpark West Park befindet sich auf einem alten Kasernengelände im Stadtteil Kriegshaber, zwischen B17 und Wertach. “Am Exerzierplatz” stehen auf einer Fläche von etwa 6.500 Quadratmetern mehrere Backsteingebäude. Die Kaserne der US-Amerikaner entstand nach dem zweiten Weltkrieg, als mehrere Einheiten auf dem Gelände zusammengelegt wurden. Die Militärbasis wurde bis 1994 genutzt. Seit 2007 überlässt die Stadt Augsburg das Gelände für 500 Euro der KuPa West gGmbH, die die Räume an Künstlerinnen und Künstler für durchschnittlich sieben Euro pro Quadratmeter weitervermietet.


Der Kulturpark West ist ein Ort für Jedermann

Im Kulturpark West wird tagtäglich beraten, qualifiziert und ausgebildet. So sind in den vergangenen sieben Jahren über 100 Jobs entstanden. Dazu zählen beispielsweise Musiklehrer*innen und Schauspiellehrer*innen, aber auch Veranstaltungsmanager oder Sicherheitsdienstmitarbeiter*innen. Für die Koordination des bunten Netzwerks wurde die gemeinnützige GmbH des Kulturparks West (KuPa gGmbH) gegründet. Sie vermietet Räume an Kreative. Viele Bands, Musiker oder Künstler mieten kostengünstig Räume von der KuPa, um ihrem Hobby nachgehen zu können oder beispielsweise Musikschüler*innen zu unterrichten.


Der Kartenausschnitt zeigt rot umrandet die Gebäude der Künstlerinnen und Künstler. Dazu gehören unter anderem der Musikclub Kantine, das Reese-Theater, sowie Bandproberäume, Ateliers oder ein theaterpädagogisches Zentrum.

 

Künstlerateliers oder Sozialwohnungen?

Nun stellt sich die Frage: Warum müssen die Künstlerinnen und Künstler einem Gelände den Rücken kehren, das wie für sie wie gemacht scheint? Wo aktuell noch die von der KuPa genutzten Gebäude an der Sommestraße stehen, sieht die Wohnbaugruppe Augsburg (WBG) vor, mehrstöckige Wohnhäuser zu bauen. Denn das gesamte Gelände soll sich weiterentwickeln. Seit mehreren Jahren werden Grundstücke auf dem ehemaligen Kasernengelände neu bebaut.

Hier entstehen zum Großteil Einfamilien- und Mehrfamilienhäuser, wie zum Beispiel zwischen Offinger-  und Sommerstraße oder auch großflächiger, zwischen dem Reese-Theater und der Ulmer Straße.

 

 

 

Wohnbebauung mitten in der Stadt ist ein aktuelles Thema: Viele Städte wachsen rasant. Eine Lösung, um die so genannte Suburbanisierung - also die Bebauung von Gebieten am Stadtrand - einzudämmen ist, die Lücken in den Innenstädten zu schließen. Außerdem sollen veraltete oder nicht mehr genutzte Gebäude und Flächen saniert werden; dann kann in zentraler Lage neu gebaut werden.

Im Fall des Reese-Geländes ist die Stadt Augsburg an zwei Vorgaben gebunden: Für das gesamte Gelände der ehemaligen Reese-Kaserne ist seit 2009 ein Bebauungsplan rechtskräftig, der zusammen mit Bürgerinnen und Bürgern und den Geschäftsführern des Kulturparks in einem öffentlichen Prozesses erarbeitet wurde. Dieser Plan legt „eine Erschließung von allgemeinen Wohnbauflächen mit verkehrsberuhigten Bereichen und Bauflächen“ fest. Außerdem hat sich die Stadt Augsburg beim Kauf des Geländes gegenüber dem ehemaligen Eigentümer, der BRD, verpflichtet, dass alle Ausgaben, die für das Gelände getätigt werden, durch Grundstücksverkäufe aus eben diesem Gelände gedeckt werden müssen. Es gibt nicht die Möglichkeit, hier Gelder aus einem anderen (städtischen) Projekt zu investieren. Am Ende dieser gesetzlich fest geschriebenen Maßnahme darf die Stadt Augsburg weder Gewinn noch Verlust mit der Nutzung des Geländes machen.

Doch zurück zum Kulturpark West: Im Juli 2017 wurde zwischen der WBG und den Künstlern der KuPa ein neuer Pachtvertrag geschlossen, der die aktuelle Nutzung um zwei Jahre verlängert – bis 31.Juli 2019. Erste Aus- und Umzüge der Künstlerinnen und Künstler sollten deshalb bis Januar oder Februar 2019 stattfinden, denn danach muss von der KuPa noch der Rückbau auf dem Reesegelände gestemmt werden.

 
Das Gaswerk sollte die neue Heimat der Kreativen werden

Das Gaswerk liegt nahe an der B17 und der große Turm mit einem Banner der SWA dürfte dem ein oder anderen schon häufig ins Auge gestochen sein. Schon bald soll das Gaswerk ein neues “Kreativ-Quartier” Augsburgs sein. Neben den Aktiven des Kulturparks West, sollen laut Stadt und Stadtwerken, die das Gelände gemeinsam entwickeln, auch Unternehmen Platz finden. Gastronomie und Geschäfte, beispielsweise Künstlerbedarf oder Grafiker.

Momentan, im Frühjahr 2018, wird auf dem Gelände des Gaswerks hauptsächlich saniert. Das alte Kasernengelände hatte etwa 6.000 Quadratmeter Fläche, die den Aktiven zur Verfügung stand. Dann kam als zusätzlicher Kostenfaktor die Sanierung des Stadttheaters dazwischen.
„Die Stadt hat 34 Aktiven von uns ein Angebot gemacht, einen Raum im Gaswerk ab Januar 2019 zu beziehen. Langfristig sollen noch mehr Räume zur Verfügung stehen. Im Endeffekt, können zum Auszugsdatum an der Sommestraße nur wenige Kreative einen Raum im Gaswerk beziehen“, beschreibt  Peter Bommas, Geschäftsführer der KuPa. Die Stadt Augsburg ist auf der Suche nach langfristigen Lösungen und die Popkulturbeauftragte Barbara Friedrichs betont: „Mit allen, die umziehen möchten und sich angemeldet haben, erarbeiten der Beauftragte für Kultur- und Kreativwirtschaft Colin Martzy und ich einen Vorschlag für einen neuen Raum auf dem Gelände des Gaswerks. Am Ende werden 110 Räume zur Verfügung stehen“

Für die KuPa-Aktiven hat das Gaswerk jedoch einen Nachteil: "Der ursprüngliche Gedanke war, als freie Szene “Kulturpark West” auf das Gaswerksgelände umzuziehen und weiter wie bisher, selbstverwaltend zu arbeiten. Das hieße, dass die Räume weiterhin von uns, der KuPa, den einzelnen Künstlerinnen und Künstlern zur Verfügung gestellt werden könnten. Die Räume, die für Künstler gedacht sind, werden von der Stadt direkt vermietet. Wer also ein Atelier, Bandproberaum oder sonstiges im Gaswerk beziehen möchte, muss mit der Stadt einen Mietvertrag schließen“, berichtet Peter Bommas. „Die Stadt Augsburg hat sich entschieden, die Vermietung selbst zu übernehmen, weil sie die Kulturförderung mit Steuermitteln transparenter machen möchte. Hinzu kommen  beihilferechtlichen Beweggründe“, sagt die Popkulturbeauftragte Barbara Friedrichs.
Die KuPa hält an ihrem ursprünglichen Ziel, der Selbstverwaltung, fest. Sie haben neue Räume gefunden und sind dort demnächst vollständig unabhängig von Subventionen: „Wir möchten natürlich nicht aufgeben, was wir uns in den letzten elf Jahren aufgebaut haben. Daher sind wir aktuell auf der Suche nach “Filialen” und bauen diese auf. In der ersten Jahreshälfte 2018 werden die ersten fertig. Das bedeutet für uns, wir werden uns aufspalten und an mehreren Orten in der Stadt verteilt sein. Eine dieser neuen Filialen wird an der Derchinger Straße in Lechhausen entstehen. Hier können wir nach erledigten Renovierungsarbeiten 76 Räume für Künstlerinnen und Künstler zur Verfügung stellen. Das Ziel wird sein, die Filialen untereinander gut zu vernetzen und zentrale Veranstaltungsräume zu haben, die für Auftritte und Veranstaltungen gemietet werden können“, so Bommas.

 
Umzug mit Hindernissen zeigt die Stärke der Künstler*innen

Raus aus der alten Wohnung, ein paar Transporterfuhren machen und rein in die neue Wohnung. So einfach war und ist es für die Künstlerinnen und Künstler der Reese-Kaserne nicht. Schlussendlich ist der Umzug des Kulturpark West kein normaler. All diejenigen, die auf das Gaswerk ziehen, werden bei ihrem Umzug von der Stadt und den Stadtwerken nach allen Möglichkeiten unterstützt. Die KuPa gGmbH hat zudem eine weitere, interessante Lösung gefunden: Sie werden langfristig an mehreren Orten in der Stadt zu Hause sein. Ein Netz aus Kreativ-Filialen an verschiedenen Orten in der Stadt kann einen Gewinn für jeden einzelnen Stadtteil bedeuten. Es gibt dann mehr Kultur im Kiez. Und die ergänzenden, zentralen Augsburger Veranstaltungen vernetzen zusätzlich alle Kulturschaffenden – die Mieterinnen und Mieter aus der ehemaligen Reese-Kaserne mit anderen Kulturschaffenden – ob nun am Gaswerk oder in den Stadtteilen. Vielleicht stärkt diese Entwicklung das Netzwerk der Kreativen in Zukunft und lässt es wachsen.
Die KuPa-Gemeinschaft  hat es in den letzten Jahren – auch dank der finanziellen Unterstützung durch die Stadt - geschafft, auf eigenen Beinen zu stehen. Wie sicher dieser Stand ist, zeigen die aktuellen Ereignisse: Mit den „Kultur-Filialen“ in den einzelnen Stadtteilen ist die Verwaltung der Künstler*innen auf dem besten Weg, eigene, maßgeschneiderte Lösungen zu schaffen.

 

INFO: Dieser Artikel erschien in seiner ursprünglichen Form am 19.5.2018. Nach Gesprächen mit der Stadt Augsburg hat die Lifeguide-Redaktion einige Ergänzungen und Richtigstellungen vorgenommen und am 11.6.2018 erneut veröffentlicht. Für Rückfragen steht die Redaktion gern zur Verfügung.

 

Wie können Wissenschaft und Gesellschaft voneinander profitieren?

Dieser Artikel entstand im Rahmen des ersten Lifeguide-Seminares an der Universität Augsburg, das unsere Redakteurinnen Cynthia Matuszewski und Sylvia Schaab im Wintersemester 2017/ 2018 im Fachbereich Geographie anboten.
Die Kernfrage lautete: Wie können Wissenschaft und Gesellschaft voneinander profitieren? Indem sie so oft wie möglich miteinander sprechen und sich austauschen. Indem also beispielsweise junge Wissenschaftler*innen in allgemein verständlicher Sprache von ihren Forschungsprojekten, ihren Forschungsfragen oder ihren Zukunftsmodellen berichten. Im Laufe des Seminars wurde über Verständlichkeit gesprochen, über Recherche, Gegenrecherche, Überschriften, Teaser, Fotos und vieles mehr. „Das war eine inspirierende Zeit für uns von der Lifeguide-Redaktion mit sehr engagierten Studentinnen und Studenten des Fachbereichs Geographie. Es hat Spaß gemacht,  mit ihnen in einer Uni-Redaktion zusammenzuarbeiten!“, berichten Cynthia Matuszewski und Sylvia Schaab. Am Ende dieser vielversprechenden Zusammenarbeit lagen dem Lifeguide im Februar 2018 insgesamt 11 neue Artikel vor. Sie werden im Laufe des Jahres 2018 veröffentlicht. Wir freuen uns darauf.

 

 

×
KONTAKT