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Organismenrepublik Augsburg

Das Kunstprojekt verfolgt die Idee einer Multispezies-Gesellschaft, in der Pflanzen, Tiere und Mikroorganismen ebenso eine Stimme haben wie der Menschen. Ein Gastbeitrag von Barbara Güll.
Die Organismengruppen im Staatsgebiet der Roten Tor Wallanlagen gelbe großen Stehlen mit den jeweiligen Symbolen der verschiedenen Organismen

Die Demokratie ist nur auf den Menschen ausgelegt

 

Stellen Sie sich vor, es ist Sonntag und in Ihrem Stadtviertel soll darüber abgestimmt werden, ob der Kindergarten einen neuen Spielplatz bekommt. Die Vorteile überwiegen, eigentlich müssten alle zustimmen. Zumindest alle Menschen. Bei der Abstimmung ist aber nicht der Mensch stimmberechtigt, sondern durch ein Losverfahren wird der Biber ausgewählt. Der Biber, den der Spielplatz nicht betrifft, entscheidet jetzt darüber, ob er erneuert wird oder nicht.

 

Klingt absurd und fühlt sich auch falsch an, denn unsere eigene, gewohnte Position ist die der Bestimmenden. Unsere Demokratie ist nur auf den Menschen, eine von etwa zehn Millionen Arten, ausgelegt. Anderen Arten wird nur eine Randbedeutung zugesprochen, sie haben kein Mitspracherecht und ihre Bedürfnisse werden ignoriert oder nur in einem minimalen Ausmaß betrachtet.


Manche würden jetzt sagen, dass es nur so Sinn macht, da nur der Mensch die Vernunftbegabung hat - oder weil es schon immer so war. Das mag zwar alles stimmen, aber man könnte es doch trotzdem einmal anders versuchen, indem man sich in einen Biber, einen Ginkgo oder ein Bakterium versetzt ... und damit herzlich willkommen in der Organismenrepublik Augsburg!

Gründung der Ausgburger Organismenrepublik

In Augsburg begann das Konzept der Organismenrepublik im Zuge des Brechtfestivals 2023 und geht bis 2025. In diesesr Republick sind 15 Gründungsmitglieder mit ihren Spezies, die sie vertreten. Die Organisation dieser Demokratie ist sehr ähnlich zu der in anderen demokratischen Staaten mit einer Gewaltenteilung. Es wird strikt von dem Parlament mit den sieben Organismengruppe/Fraktionen, der durchführenden Exekutive und dem Verfassungsgericht mit den Schlichter*innen unterschieden. Beschlüsse können von allen 600 im Staatsgebiet wohnenden Arten eingereicht werden. Diese werden dann im Parlament besprochen und bei einer einfachen Mehrheit umgesetzt.

 

Verfassung mit 47 Artikeln

Ein wichtiger Grundpfeiler einer Demokratie ist aber auch die Verfassung, die durch die Organismen formuliert wurde. In der Präambel wird die Absicht, das Ziel dieses Staates deutlich. Alle über 600 Arten sollen in der Roten Tor Wallanlage gemeinsam leben, einen gerechten Austausch anstreben, eine partizipative, demokratische Speziengemeinschaft bilden. 47 Artikel beschreiben genau die Vorstellungen des Zusammenlebens in diesem Staatsgebiet.
 

Jeder Organismus wird gehört

Artikel 38 der Verfassung der Organismenrepublik

Erste Gerichtsverhandlung der Organismen

Anhand von Artikel 38 kann man die Funktionsweise der Republik erklären. Beim Brechtfest 2024 fand auf der Brechtbühne im Gaswerk eine Anhörung statt. Der Biber klagt, er sieht seine Rechte beschnitten, wenn er den Bach, der durch das Staatsgebiet fließt, nicht aufstauen darf. In der Gerichtsverhandlung hat das Publikum die Funktion der Schöffen übernommen, sie haben sich die Argumente des Bibers und der Gegenparteien angehört, bevor es zu einer Abstimmung ging. Die Gegenparteien, bestehend aus dem Ginkgo als Vertretung der Gehölze und Kletterer und die gemeine Mauerflechte als Vertreterin der Pilze, Moose und Flechten wiederum haben Argumente dargebracht, warum die Rechte des Bibers nicht eingeschränkt seien. 

Die Schöffen standen dann vor der schwierigen Frage: "Was wiegt mehr?" 

Sind die Argumente von Auslebung der natürlichen Triebe und die möglichen positiven Effekte durch den Wasseraufstau besser als die Argumente der Gegenseite, die betonten, dass dieser Eingriff zu radikal wäre, zu viele Spezies darunter leiden würden. Der Prozess endete mit einer eindeutigen Antwort – der Biber hat Recht bekommen und darf jetzt den Bach aufstauen.

Pause für die anthropogene Sichtweise 

Doch das passiert nicht wirklich, oder? Aber man muss doch den Menschen mit seinen Bedürfnissen beachten! Der Park ist eine wichtige Quelle der Erholung, der Eingriff des Bibers ist zu stark.

Ist er das? Diese Republik erlässt keine Gesetze, sie ändert nichts direkt. Warum sollte man sich dann darauf einlassen? Wir Menschen tendieren dazu alles aus unserer Perspektive zu sehen, unsere Bedürfnisse als die Einzigen anzusehen. Dabei sind wir zum einen eine sehr junge Spezies und zum anderen nur eine von ungefähr zwei bis zehn Millionen.

Man würde weiterkommen, wenn man die anthropogene Sichtweise zumindest für einen Augenblick ablegen und überlegen würden, was andere Spezies brauchen. Wie kann ein Zusammenleben unter der Einbeziehung von anderen Arten aussehen? Und ist das Teilen von Partizipation wirklich ein Verlust für uns oder nicht eher ein Gewinn durch den besseren Schutz für alle Arten. 

Man muss ja nicht gleich mit einer Republik anfangen, sondern kann sich im Park, beim Spazierengehen in der Natur oder im Garten fragen. Was brauchen Vögel, Insekten, Mikroorganismen? Wo gibt es Überschneidungen, auch mit den eigenen Bedürfnissen. Es sind oftmals mehr als man denkt.
 

Alles, was nach Leben strebt, hat eine gleichberechtigte Daseinsberechtigung

Artikel 8, Verfassung Organismenrepublik

Der Artikel von Barbara Güll, Univerität Augsburg ist zuerst erschienen in der Augsburger Agendazeitung Stadt mit A, 1-2024

 

 

Infos zum Projekt

Das Projekt wird von der Bundeszentrale für Politische Bildung gefördert und zielt darauf ab, eine Demokratie zu schaffen, in der alle Spezies repräsentiert sind und an der Gestaltung ihrer Umwelt teilhaben können1. Es ist ein spannender Ansatz, der dazu anregt, über die Rolle und die Rechte von nicht-menschlichen Lebewesen in unserer Gesellschaft nachzudenken.

 

Mehr dazu lest ihr auf der Seite der Organismenrepublik Augsburg

Kontakt zum Orga-Team Club Real: info@clubreal.de 

 

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