Handwerk
regional

Bäcker statt Aufbäcker!

Plädoyer für das Handwerk des Bäckers. Gastkolumne von Ursula Hudson, Slow Food Deutschland
Brot - eines der wichtigsten Lebensmittel in unserem Kulturkreis. Foto: Cynthia Matuszewski

Meine Familie blickt auf eine lange Ahnenreihe oberbayerischer Dorfbäcker zurück. Die Liebe zum Brot und Backhandwerk wurde mir großväterlicherseits in die Wiege gelegt. Der Duft der Backstube ist Teil meiner Kindheit. Dazu gehörte auch die Vorfreude, wenn die Mutter das frische Brot mit dem Messer auf der Unterseite zunächst mit einem Kreuz segnete, bevor sie den Laib gekonnt anschnitt.

 

Heute gibt es in meiner Verwandtschaft den Bäcker immer noch, aber um ihn herum haben mehrheitlich Backshops und Discountketten die Versorgung der Bevölkerung übernommen. Ich habe das Handwerk nicht mehr erlernt, sondern später in meiner Wahlheimat England aus schmerzhaft empfundener Brot-Not heraus mit dem häuslichen Brotbacken begonnen. Mittlerweile hüte ich einen besonderen Schatz: eine gut über 250 Jahre alte Sauerteigmutter. Bei Zugabe von Mehl, Wasser, Salz und Zeit entsteht mit ihr als Triebmittel das neue Brot – für mich immer wieder ein kleines Wunder.

 

Seit Tausenden von Jahren essen die Menschen Brot. Kennerhaft erspürt unsere Zunge den Unterschied: Da ist der duftige Weizenlaib mit der lockeren, ungleichmäßig geporten Krume. Das grobkörnige Schwarze, hier der leicht nussige Dinkel und dort die würzige Gerste. Unsere Geschmacksknospen erkennen auf Anhieb, ob der Bäcker sein Handwerk versteht – aber leider immer häufiger auch, dass es damit nicht mehr weit her ist. Brot, Brötchen und Brezel schmecken muffig, die Kruste zerfällt im Mund in Krümel, die Krume ist strohig, sandig oder pappt. Die Ursache liegt auf der Hand: Den richtigen Handwerksbäcker, den gibt’s fast nicht mehr. Jeden Tag schließt in Deutschland ein eigenständiger Betrieb. So sank die Zahl der unabhängien Backstuben in den letzten 60 Jahren von rund 55.000 im alten Bundesgebiet auf 12.155*. An die Stelle des Bäckers ist der Aufbäcker getreten, der Teig wurde durch den Teigling ersetzt, industriell vorgefertigt und angeliefert.

 

Deutschland gilt als Land der tausend Brotsorten. Der Verband des Deutschen Bäckerhandwerks wollte diese über die Jahrhunderte entstandene Geschmacksvielfalt vor ein paar Jahren sogar zum Weltkulturerbe erheben lassen. Wer die triste Backshop-Realität in den deutschen Innenstädten kennt, weiß, dass dies heute eigentlich zynisch wäre. Besonders traurig macht mich dabei, dass der allerorten schmeckbare Niedergang der Brotkultur offenbar mit dem stillschweigenden Konsens von uns Verbrauchern geschieht. Wie sonst lässt sich erklären, dass die Nachfrage nach Brot trotz des Qualitätseinbruchs nicht zurückgeht? Der Konsum pro Haushalt und Jahr liegt bei rund 50 Kilogramm – so wie schon vor zwei Jahrzehnten**.

 

Der Backindustrie ist offenbar eine wundersame Substitution gelungen. Was wie Brot, Brezen oder Brötchen aussieht, ist es nicht mehr. Wir müssen unsere Sinne ausschalten, um sie zu essen. Wenn man aber ohne Beteiligung von Sinn und Verstand isst, na dann kann man uns ja fast alles vorsetzen! Die Backmittelindustrie macht sich die mangelnde kritische Haltung der Brotkonsumenten zu Nutze. Hunderte von Emulgatoren, Enzymen und anderen Zusatzstoffen steuern das Tempo der Gärung, die Teigverdickung, Porengröße, Rösche, Feuchtigkeit, Farbe, Geruch und Geschmack. Das spart den im harten Konkurrenzkampf stehenden Bäckern Zeit und Kosten und macht die Prozesse maschinengängig. In vielen Berufsschulen und Backbetrieben werden nur noch Fertigbackmischungen aus den Tüten gekippt und angerührt. Das tradierte Wissen um Mehlqualitäten, traditionelle Herstellungsverfahren und die komplexen Abläufe beim Brotmachen geht zunehmend verloren. Ist es nicht gerade dieser Schatz, der einmal als Weltkulturerbe geschützt werden sollte?

 

Es geht auch anders, es geht slow. Mit Neid blicke ich auf das Nachbarland Frankreich, das seine handwerklich arbeitenden Bäcker gesetzlich vor der allgemeinen Verdummung und Entmündigung schützt. »Boulanger« darf nur heißen, wer das Handwerk erlernt hat und wirklich in seiner Backstube bäckt. Das ist doch schon mal ein Anfang. Noch besser wäre, wenn wir auch das Tütenaufreißen ganz verbannen würden. Dazu müssen wir Kunden Verbündete der Bäcker werden. Wir müssen uns bewusst sein, dass traditionelles Bäckerhandwerk profundes Wissen, viel Erfahrung und tatsächliche Leidenschaft für das Produkt voraussetzt. Diese Handwerkskunst hat einen Anspruch auf gerechte Bezahlung. Belohnen wir den Bäcker beispielsweise dafür, dass er sich Zeit nimmt und seinen Teig ruhen lässt. Denn nur so können sich alle geschmacksgebenden natürlichen Zuckerverbindungen abbauen, die den Teig zu dem wohlschmeckenden Brot werden lassen! Bezahlen wir den Meister dafür, dass er die Waren in seinem Verkaufsregal selbst herstellt und die Zutaten qualitätssichernd regional einkauft.

 

Und gönnen wir es uns schließlich auch selbst! Schalten wir die Sinne beim Essen wieder ein und wehren wir uns gegen die Attrappen! Nur so lassen wir uns nicht länger einen Teigling für einen Teig vormachen – schließlich geht es um nicht weniger, als um unser tägliches Brot!

 

Bleiben Sie weiterhin engagiert, kritisch und genussfreudig,

Ihre Ursula Hudson

 

*, ** Quellen: Verband des Deutschen Bäckerhandwerks: Wir wollen Bäcker statt Aufbäcker!

 

Diese Kolumne stammt aus dem Slow-Food Magazin und wurde am 21.12.2016 im Lifeguide veröffentlicht.

 

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