Landwirtschaft
Umweltbildung

Nahrung ist ein Menschenrecht!

Warum das Konzept der „Ernährungssouveränität“ stärker in den Blick genommen werden sollte, erklärt die Ökologin Eva Bahner.
Landwirtschaftlicher Kleinbetrieb. Wandbild in Burkina Faso. Foto: Pixabay

Nahrung ist ein Menschenrecht – verwirklicht ist es, wenn jeder Mensch jederzeit Zugang zu angemessener Nahrung oder Mitteln zu ihrer Beschaffung hat (Artikel 11 (2) des Sozialpakts der Menschenrechtskonvention). Auch das Sustainable Development Goal (SDG) 2 „Kein Hunger“ hat zum Ziel, bis 2030 den Hunger weltweit zu beenden.
Anspruch und Wirklichkeit liegen jedoch weit auseinander, ebenso wie die Konzepte hin zur Zielerreichung. Einen Weg dorthin öffnet das Konzept der „Ernährungssouveränität“, es steht für ein Handeln jenseits von Grenzen und für transnationale Solidarität – besonders mit jenen, die vom derzeitigen Agrar- und Lebensmittelsystem strukturell benachteiligt werden.

Das Konzept der Ernährungssouveränität

La Via Campesina  prägte 1996 als Antwort auf die WTO-Politik des globalen Agrarfreihandels das Konzept der Ernährungssouveränität und beschreibt es folgendermaßen: „Ernährungssouveränität bezeichnet das Recht der Bevölkerung, eines Landes oder einer Union, die Landwirtschafts- und Verbraucherpolitik ohne Preis-Dumping gegenüber anderen Ländern selbst zu bestimmen. Das Konzept geht vom Vorrang der regionalen und nationalen Selbstversorgung aus. Produzent*innen, Verarbeiter*innen und Verbraucher*innen verpflichten sich zu transparenter Deklaration und kostendeckenden Preisen, damit die Bäuer*innen nachhaltig produzieren können.“
Für das Europäische Forum ist „Ernährungssouveränität das Recht der Völker auf gesunde und kulturell angepasste Nahrung, nachhaltig und unter Achtung der Umwelt hergestellt. Sie ist das Recht auf Schutz vor schädlicher Ernährung. Sie ist das Recht der Bevölkerung, ihre Ernährung und Landwirtschaft selbst zu bestimmen. Ernährungssouveränität stellt die Menschen, die Lebensmittel erzeugen, verteilen und konsumieren, ins Zentrum der Nahrungsmittelsysteme, nicht die Interessen der Märkte und der transnationalen Konzerne."

Warum nicht „Ernährungssicherung“?

Die deutsche Strategie in der Bekämpfung von Hunger setzt im Wesentlichen auf Ernährungssicherung: „… das Recht auf sichere, ausreichende und ausgewogene Ernährung zu ermöglichen. Dazu müssen Ernährungssysteme effektiver und effizienter werden und gleichzeitig muss ökonomisch und sozial nachhaltig gehandelt werden“.  Ernährungssicherheit fokussiert sich also auf die Verfügbarkeit von Nahrung und den Zugang zu Lebensmitteln – ohne lokale, soziale oder kulturelle Aspekte der Ernährung mit zu betrachten. Anbau vor Ort bzw. (trockenheitsverträglicher) lokaler Arten oder regionale Ernährungsgewohnheiten (z.B. Verwendung von Hirse in Teilen Afrikas, Bedeutung von Maniok oder Kartoffeln in Südamerika) spielen dabei kaum eine Rolle. Aus dieser Betrachtung kommt die Berechnung, dass weltweit genug Nahrungsmittel produziert werden, um allen Menschen ausreichend Kalorien/Grundlebensmittel zur Verfügung stellen zu können. Transportkosten, Überproduktion, Dünger- und Pestizideinsatz, Auswirkungen auf den Boden oder Arbeitsplätze in der Landwirtschaft der Regionen spielen in dieser Betrachtung keine Rolle.

Ernährungsarmut – auch in Augsburg?

Ernährungsarmut beschreibt die strukturellen Zusammenhänge zwischen sozioökonomischer Position, Ernährung und Gesundheit . In Haushalten, die wenig Geld zur Verfügung haben, ist oft die Ernährungssituation schlechter und die Lebenserwartung um rund zehn Jahre geringer als im Durchschnitt der Bevölkerung. In Deutschland geben elf Prozent der Haushalte an, sich nicht jeden Tag eine vollwertige Mahlzeit leisten zu können. Gerade bei uns gilt, dass Lebensmittel mit hohem Stärke- und Zuckeranteil im Vergleich zu Obst, Gemüse, Fisch oder Fleisch deutlich billiger sind – und auf Dauer häufig durch Fehlernährung zu Übergewicht und Folgeerkrankungen führen.
Von 2018 bis 2019 ist die Zahl der Nutzer*innen der Tafel in Augsburg um über zehn Prozent gestiegen – meist sind es Menschen mit Grundsicherung, Senior*innen oder Asylsuchende. Mit der Publikation „Armut macht Hunger“ von 2021 weist die Heinrich-Böll-Stiftung auf diesen (weltweiten) Zusammenhang hin.

Ernährungssouveränität, Migration und Umweltschutz

Für das Forum Eine Welt von besonderer Bedeutung ist der Zusammenhang von Ernährung, Migration und Umweltthemen. Für die Volkswirtschaften im Globalen Süden ist es extrem schädigend, wenn hoch subventionierte und in industrieller Landwirtschaft erzeugte Lebensmittel wie Mais, Weizen oder Reis lokale Märkte im Globalen Süden fluten. Gerade die (kaufkräftige) Bevölkerung städtischer Zentren nutzt gerne die billigen, importierten Lebensmittel – die heimische (kleinbäuerliche) Landwirtschaft hat dann häufig das Nachsehen, weil ihre Produkte teurer bzw. optisch weniger perfekt sind. Der so entstehende Teufelskreis von Einkommensverlusten, fehlenden Arbeitsplätzen und Hunger auf dem Land führt zu Abwanderung in die Städte und in der Folge häufig zu Migrationsbewegungen nach Europa oder in die USA.

 

Betrachtet man zusätzlich Umweltaspekte, verlieren beim Konzept der Ernährungssicherung nicht nur die häufig kleinbäuerlichen Produzent*innen sondern wir alle. Kulturelle Besonderheiten, regionale Gerichte und spezifisch angepasstes Saatgut gehen oft für immer verloren. Zwar verdienen einige wenige Saatgutkonzerne und Chemieunternehmen Unsummen – die Böden in intensiven Ackerbaugebieten verlieren allerdings ihre Fruchtbarkeit, Pestizide belasten Grund- und Trinkwasser, Versalzung lässt ganze Regionen versteppen und zunehmende Bodenerosion  hat bis heute dazu geführt, dass ein Viertel der weltweiten Landoberfläche degradiert und von Wüstenbildung bedroht ist. „Wir nutzen die Böden der Welt, als wären sie unerschöpflich und heben dabei von einem Konto ab, auf das wir nicht einzahlen“ (Jes Weigelt, IASS Potsdam). Als Hauptgründe für diese „stille Katastrophe“ gelten intensive Landwirtschaft, unangepasster Ackerbau, maschinelle Verdichtungen des Bodens und zunehmende Entwaldung.

 

Ernährungssouveränität dagegen setzt auf klimatisch und regional angepasste Sortenvielfalt statt Monokulturen, Klimaanpassung und bodenschonende Bearbeitungsweisen, neue Anbaumethoden (Permakultur, Agro-Forstsysteme, silvo-pastorale Systeme) sowie eine Zusammenarbeit mit der bäuerlichen Bevölkerung, um deren Lebensgrundlagen zu erhalten. Ist es Zeit für ein Umdenken, weg vom europäischen Modell hin zu differenzierten und klimaangepassten Lösungen?

Was tun? Ernährungssouveränität muss Gesprächsthema werden!

Abschließend ein paar Ideen, Anregungen und Beispiele von allen Ebenen, was wir heute für eine Verbreitung des Konzepts der Ernährungssouveränität beitragen können:

  • In Veranstaltungen und Gesprächen kann jede/r Einzelne auf das Konzept der Ernährungssouveränität und auf die ganze Breite des Themas hinweisen. Beispiele, Ansatzpunkte für Gespräche und einen Überblick zu ganz verschiedenen Aspekten des Themas finden sich in der Zwiebel-Grafik.
  • Wer hat die Zwiebel angebaut? Wie viel verdient diese Person? Wie viel Chemie ist in der Zwiebel? Aus welchem Saatgut ist die Zwiebel gewachsen? Gibt es ein Patent auf das Saatgut? Wie weit ist die Zwiebel gereist? Wem gehört das Land, auf dem sie gewachsen ist? Wer verkocht die Zwiebel?
  • Bei Aktionen mit Kooperationspartner*innen aus dem Netzwerk der Lokalen Agenda kann die Tiefe der Verflechtung gezeigt werden. Aus Sicht des Forums Eine Welt kommen beispielsweise SoLaWi, slowfood, foodsharing, UBZ, Misereor oder Brot für die Welt in Frage. Sicher aber kann diese Liste noch um viele weitere Agendaforen erweitert werden!
  • Die Forderungen der Ernährungskehrtwende aus „Earth for all“ bekannt machen, Veranstaltungen dazu planen und durchführen und im persönlichen (Nahrungsmittel-)Konsum durch eine Veränderung der Kauf- und Essgewohnheiten die Umstellung auf ein neues Nahrungsmittelsystem vorantreiben (Earth for all, S. 143 ff).
  • Bei vermeintlich billigen Nahrungsmitteln immer wieder überlegen, welche „externen“ (Folge-)Kosten (geringe Löhne bis hin zu Sklavenarbeit, Bodenzerstörung, Wasserverschmutzung, CO2-Belastung der Atmosphäre, Verschwendung von Lebensmitteln) nicht eingepreist wurden. Will ich diese Kosten tatsächlich der Allgemeinheit aufbürden?
  • Auf nationaler und EU-Ebene kann sich Deutschland für eine Kohärenz in der Handels- und Entwicklungspolitik einsetzen: Subventionen aus dem Norden dürfen nicht zur Zerstörung ganzer Volkswirtschaften im Globalen Süden führen, Entwicklungshilfegelder dürfen nicht durch Investitionen in großflächige Agrarwirtschaft und die Förderung des Anbaus von Cash Crops gefährdet werden, der globalisierte Handel mit Lebensmitteln darf nicht die Nahrungsgrundlage von Menschen im Globalen Süden zerstören. Beteiligen Sie sich an Petitionen, schreiben Sie die Bundestagsabgeordneten an, mischen Sie sich ein – Wegschauen und Aufgeben sind keine Option, wenn es ums Überleben der Menschheit geht!
  • Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen, egal ob es um regionalen Einkauf hier bei uns geht, die Gestaltung des eigenen Gartens/Balkons mit wilden Ecken, selbst Kochen statt Fertiggerichte zu kaufen oder den Anbau alter Sorten – jede/r wird etwas Passendes für sich selbst finden. Das Wichtigste ist – einfach anfangen!

Zahlen & Fakten

  • Laut Schätzungen der UN leiden 828 Millionen Menschen Hunger (2021), 2,3 Milliarden Menschen leiden unter schwerer oder mäßiger Ernährungsunsicherheit. Die Gründe: Pandemie, Kriege, Konflikte, Ungleichheit, Armut, extreme Wetterereignisse (Klimawandel)
  • Seit 2019 (vor der Covid-Pandemie) hat sich die Zahl der Hungernden um 150 Millionen Menschen erhöht
  • Trauriger Rekord: Augsburg hat bayernweit die niedrigste Durchschnittsrente  - betroffen sind vor allem Frauen.
  • Jährlich verlieren wir weltweit 24 Milliarden Tonnen fruchtbarer Erde durch Erosion, Überbauung, Überschwemmungen oder Raubbau in der Landwirtschaft.
  • In Europa verlieren wir ca. 1000 km² lebendigen Boden - pro Tag (v.a. Bau von Straßen, Wohnbebauung, Industrie).

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