Geld

Geld sollte der Mehrheit der Menschen dienen!

Interview mit Rupert Bader und Benedikt Michale vom Forum Fließendes Geld
Benedikt Michale und Rupert Bader (v.l) Foto: Cynthia Matuszewski

Viele Menschen setzen sich nicht gern mit dem Thema Geld auseinander. Unser Geld- und Wirtschaftssystem gilt als kompliziert, undurchschaubar, schwierig oder schlicht langweilig. Rupert Bader und Benedikt Michale sind Vorstände des Vereins Oeconomia Augustana, der sich mit der nachhaltigen Nutzung von Geld befasst. Seit 2015 sind sie mit dem Forum „Fließendes Geld“ Teil der Lokalen Agenda 21 – für ein zukunftsfähiges Augsburg.

Beide haben langjährige Erfahrungen im Finanz- und Geldwesen und sind davon überzeugt: Wenn wir den Nachhaltigkeits-Gedanken auf das Geldsystem übertragen, kann eine Verbesserung für alle erreicht werden.

 

Welchen Fehler hat Eurer Meinung nach das gegenwärtige System?

Benedikt Michale: Das aktuelle Geldsystem dient nicht der Mehrheit der Menschen. Es steht nicht im Einklang mit Mensch, Tier und Natur. Der Ansatzpunkt sollte sein: Wie kann das Geld dem Menschen dienen, wie ist ein gelingendes Leben für alle Menschen möglich?

Ich finde das Zitat von Henry Ford im Zusammenhang mit unserem gegenwärtigen Geldsystem sehr aussagekräftig: „Eigentlich ist es gut, dass die Menschen unser Geld- und Bankensystem nicht verstehen, denn würden sie es verstehen, hätten wir vor morgen früh eine Revolution.“

Rupert Bader: Genau, der Zugang zu dem System wird bewusst erschwert, so dass die Leute sagen: Das ist zu komplex, ich beschäftige mich gar nicht damit, das ist eine eigene Welt. Und in dem Moment, wo die Mehrheit akzeptiert, dass unser Geldsystem eine eigene Welt ist, kann die Minderheit, die dort handelt, wunderbar für sich agieren und das System weiter pflegen, das ihnen am meisten bringt.

Wir haben uns intensiv mit Wirtschafts-Vordenkern und Wirtschafts-Systemen auseinandergesetzt und ein System wie unseres, in dem sowohl die Vermögen als auch die Schulden immer schneller wachsen, kollabiert in der Regel alle 70 Jahre. Das kann passieren durch eine Währungsreform, eine gewaltige Inflation, im schlimmsten Fall wurden in der Historie auch Kriege angezettelt.

 

Was läuft schief?

Rupert Bader: Wir haben einen Turbokapitalismus. Wir haben das Geld zum höchsten Gut des Lebens erkoren. Profit ist das Maß aller Dinge. Ich war ja jahrzehntelang in der Bankenwelt tätig. Das Geld ist immer nur dorthin geflossen, wo es die meiste Rendite gebracht hat. Alles andere spielt keine Rolle. Die meisten investieren Geld ohne zu fragen: Was macht das mit den Menschen? Was macht das mit dem Klima? Müssen Kinder arbeiten, um das Geld zu generieren? Und, und, und… Das gesamte Umfeld wird komplett ausgeblendet. Wir reduzieren alles nur auf die eine Frage nach der Rendite. Und wenn du heute in die Welt schaust, hängt alles genau an diesem Punkt. Wir machen die Erde kaputt, wir beuten die Ressourcen aus, wir haben bereits im August 2016 unserer Erde so viele Ressourcen weggenommen, wie wir es im gesamten Jahr 2016 dürften. Wir gehen maßlos mit unserer Welt um. Unser derzeitiges Verhalten ist also völlig ungesund und krank. Und immer mehr Menschen erkennen, dass etwas nicht rund läuft, dass unser Verhalten auf der Erde nicht mehr vernünftig ist.

 

Was ist das Ziel Eurer Arbeit?

Benedikt Michale: Wir wollen Wissen über Geld vermitteln, das in der Schule und im herkömmlichen Bildungssystem kaum oder gar nicht gelehrt wird. Uns geht es darum, dass die Menschen sich selbst eine Meinung bilden können, nachdenken können und das Bewusstsein entwickeln, dass es in Geldfragen immer Alternativen gibt. Es gibt nicht immer nur einen Weg. Unser Ziel ist, die Menschen zu ermutigen und zu ermächtigen. Zurzeit bieten wir viele Informationsveranstaltungen an, schauen Filme, führen Gespräche, suchen den Dialog und zeigen Alternativen auf.

 

Eine dieser Alternative ist die Idee vom Fließenden Geld. Was ist das für ein Modell?

Rupert Bader: In der Natur gibt es nichts, was unbegrenzt haltbar ist. Alles hat irgendwann ein Verfalldatum im Kreislauf des Lebens. Das Paradoxe ist, dass beim Geld diese Grundregel nicht greift. Dieser Ausnahmefall führt dazu, dass Menschen ihr Geld unbegrenzt horten können und dafür belohnt werden – das Geld vermehrt sich. Und je mehr Geld jemand hat, desto mehr Macht hat er auch. Die Idee vom Forum Fließendes Geld ist: Lasst uns doch das Geld mit einer Art Umlaufsicherungsgebühr versehen. Wenn unser Geld jedes Jahr zum Beispiel 3 - 5% an Wert verliert, zirkuliert es viel schneller. Das Fließende Geld wird dadurch viel öfter ausgegeben, als das „klassische“ Geld. Also bewegt es viel mehr.

 

Benedikt Michale:  Ein Beispiel für eine solche „geldpolitische Innovation“ wurde im Hochmittelalter, zwischen 1150 und 1450 verwirklicht. Die damaligen Münz-Währungen, wurden mit einer „Umlaufsicherung“ ausgestattet und hatten ein Verfallsdatum, was die Menschen dazu bewog, ihr Geld nicht zu horten, sondern sinnvoll zu investieren und zu konsumieren. In Magdeburg wurde das Geld zum Beispiel nach einem Jahr „verrufen“ und ein „Abschlag“ von 20 Prozent fällig, also 100 alte Münzen wurden gegen 80 neue und gültige Münzen umgetauscht. Mit dem „Abschlag“ wurde dann der Staatshaushalt finanziert. Und weil das System so einfach war, machten es die meisten europäischen Monarchien zwischen dem 12. und 15. Jahrhundert der Stadt Magdeburg nach.

Viele malerische mittelalterliche Städte wurden mit diesem fließenden Geld gegründet oder ausgebaut: Schwerin, Marburg, Rothenburg, Görlitz, Prag, Passau, Salzburg, Graz, Luzern, Zürich, Tübingen und viele mehr. Ebenso wurden große Dome und Kathedralen gebaut: Von Köln bis Regensburg, von Straßburg bis Magdeburg und von Fulda bis Breslau. Es war eine Zeit mit überquellendem Genuss und großer Lebensfreude und – 300 Jahre Frieden.

 

Rupert Bader: Ein weiteres Beispiel aus jüngerer Geschichte ist Wörgl, eine kleine, abgeschiedene Gemeinde in Österreich, die - genau wie viele andere - während der Weltwirtschaftskrise mit Armut und hoher Arbeitslosigkeit kämpfte. 1929 hat die Gemeinde Gutscheine ausgegeben, die nur in Wörgl galten und monatlich an Wert verloren. Mit dem System wurden in Wörgl Brücken gebaut und die Infrastruktur aufgepäppelt. Das ganze Dorf hat miteinander über dieses Gutscheinsystem gelebt, gezahlt, gehandelt. Den Menschen in Wörgl ging es gut und damit hat sich der kleine Ort vom Rest der Welt abgehoben.

Wörgl war so erfolgreich, dass Journalisten und Wissenschaftler aus aller Welt anreisten, um sich das „Wunder von Wörgl“ anzusehen. Nach 14 Monaten sprengte die Österreichische Notenbank das System mit der Begründung, dass nur sie Geld drucken dürfe.

 

Die Lösung liegt also Eurer Meinung nach in funktionierenden, parallelen Systemen des Fließenden Geldes? Gibt es denn auch heutzutage solche Regionalwährungen, die funktionieren?

Benedikt Michale: Ja, wir waren unter anderem in Traunstein im Chiemgau, wo es die Regionalwährung, den Chiemgauer gibt, und in Langenegg in Österreich. 2016 haben über 100.000 Menschen in der Region insgesamt vier Regionalwährungen genutzt und es funktioniert wunderbar. Denn hier stehen die Bürgermeister und die Landesregierung voll hinter dem Projekt und das ist entscheidend: Regionale Währungen sind immer dann erfolgreich, wenn sie von der Stadt oder der Kommune mit eingeführt und begleitet werden.

Rupert Bader: Beim Chiemgauer hat die Sparkasse sogar einen eigenen Schalter für die Währung Chiemgauer. In der Region haben die Menschen eine „normale“ Scheckkarte und eine mit der Regionalwährung. Und an der Kasse der Chiemgauer Geschäfte kannst du entscheiden, mit welcher Karte du bezahlst. Am Jahresende kommen 3% deines Jahresumsatzes mit dem Chiemgauer einer Regionalinitiative zugute, die du selbst auswählst. Das heißt, die Menschen sind doppelt motiviert, den Chiemgauer zu nutzen: Das Geld bleibt bei Unternehmen in der Region und zusätzlich werden Initiativen vor Ort unterstützt. Das hat auch zur Folge, dass die Menschen aufmerksamer in ihrer Region unterwegs sind: Sie kennen die Initiativen und achten mehr aufeinander. 

 

 

Könnte eine solche Regionalwährung überall funktionieren?

Rupert Bader: Damit das System funktioniert, brauchst du auf jeden Fall das Bewusstsein der Bevölkerung, die Menschen müssen das mittragen, mit-verstehen, sie müssen das System mit Energie versorgen und ihm Leben einhauchen. Du kannst gesellschaftlichen Wandel friedfertig vollziehen, wenn etwa 10 Prozent der Menschen das möchten.

Aber viele Menschen mit 50, 60 oder 70 sagen: Für uns kann das bestehende System noch reichen, wir machen die Augen zu, das passt schon. Aber ich möchte meinen Kindern sagen können: Ich habe etwas getan.

Denn Fließendes Geld könnte der Turbolader werden, der nachhaltige Entwicklung voranbringt. Auf einmal wäre für die guten Dinge das Geld da.

Benedikt Michale: Die Bewegung wächst: In der Bevölkerung, in der Politik, in den Banken und den Medien. Vor vier Jahren, bei unserem ersten Treffen der Oeconomia Augustana standen Rupert und ich fast allein da, wir waren maximal sechs, sieben Personen. Wir hatten bisher 35 Treffen und heute kommen Menschen aus allen Berufsgruppen, aus allen Altersgruppen. Es geht nicht um „die Armen“ oder „die Reichen“, um „die Guten“ oder „die Bösen“, sondern es geht um Lösungen. Du findest heute in allen Schaltstellen der Macht dieses Bewusstsein, den Wunsch zur Veränderung, zu Lösungen – das Bewusstsein kennt keine Hierarchien.

 

 

Ist in Augsburg auch eine solche Regionalwährung möglich?

Rupert Bader: Nur, wenn die Kommune mitmacht. Wir sind bereit, unser Know–how, unsere Zeit und Energie hineinzugeben, aber es funktioniert nur, wenn die Stadt mitmacht. Wenn wir erfolgreich sein wollen, müssen wir das professionell, wie eine Firma führen, und benötigen auch Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei der Stadtverwaltung. Wie man am Chiemgauer sieht, ist auch die Unterstützung der Stadtsparkasse ein großer Vorteil.

Benedikt Michale: Als vor einigen Jahren versucht wurde, mit dem Lechtaler eine regionale Währung in Augsburg einzuführen, hatte das mehrere Schwachpunkte: Die Kommune stand nicht dahinter und Ehrenamtliche mussten die Arbeit in ihrer Freizeit stemmen. Das war viel zu umfangreich. Außerdem haben damals zu wenige Unternehmen und Geschäfte mitgemacht. Um erfolgreich zu sein, brauchen wir Unternehmen, die sämtliche Dienstleistungen des täglichen Bedarfs abdecken. Denn das ganze System funktioniert in Kreisläufen. Je besser der Kreislauf funktioniert, je mehr Angebote abgedeckt sind, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Menschen ihre Regionalwährung nutzen.

Außerdem fehlten Rücktauschmöglichkeiten. Die Konstruktion war jedoch insgesamt konsequent durchdacht. Also ist das Gute am Lechtaler, dass wir heute wissen, wie der Rahmen für einen zweiten Anlauf aussehen müsste, um Erfolg zu haben.

In Augsburg würden wir zunächst in einem Stadtteil starten, um einen Mikrokosmos zu schaffen und zu zeigen, dass eine komplementäre Regionalwährung – das heißt der Euro wird ergänzt und nicht ersetzt – gut läuft. Wenn es funktioniert, werden andere Stadtteile motiviert und es kommt zu einem positiven Domino-Effekt, in und um Augsburg.

 

 

Was kann jeder einzelne tun?

Rupert Bader: Jeder kann sich seine Bank aussuchen. Oder Geldanlagen wählen, die keinen Schaden bei den Menschen oder dem Planeten verursachen. Oder neue Wege ausprobieren: Mir hat ein Projekt hier in Augsburg besonders imponiert. 20 Menschen mit den unterschiedlichsten Lebens-Hintergründen wollen ein Haus-Projekt stemmen, bei dem es darum geht, bezahlbare Wohnungen in eigenen, selbstverwalteten Häusern zu schaffen. Das Projekt Unser Haus e.V. https://unserhausev.wordpress.com/ wird durch eine Kombination von Eigenkapital - wie Vereinsbeiträge, Direktkredite und Spenden - und einem Bankkredit finanziert. Konkret müssen die Vereinsmitglieder 300.000 Euro zusammenbekommen, um einen Kredit von einer Millionen Euro zu erhalten. Und da engagieren sich junge Menschen, die keinerlei Zugang zu Geld und Kapitalanlagen haben und werden mit 500, 1.000 oder 2.000 Euro zu Geld- und Kreditgebern – und es funktioniert. Der Augsburger Verein arbeitet mit dem Mietshäuser Syndikat Freiburg zusammen und bundesweit sind bereits etwa 100 Immobilien nach deren Modell umgesetzt worden.

Wir sind vorsichtig optimistisch. Unsere Arbeit ist wie ein Marathon und wir sind jetzt etwa bei der Mitte. Aber man merkt, es schließen sich immer mehr Weggefährtinnen und Weggefährten an.

 

Rupert Bader war über 30 Jahre im Bankbereich tätig, zuletzt als Direktor einer Schweizer Privatbank. Heute ist er Unternehmer und hilft Menschen in Finanzfragen. Seine besonderen Kompetenzen liegen im Bereich nachhaltiger Geldanlagen und Immobilien. Seit 2014 engagiert er sich in der Lokalen Agenda 21 beim Arbeitskreis Unternehmerische Verantwortung und dessen Veranstaltungskonzept Fokus-N. Seit 2015 ist das Forum Fließendes Geld Teil der Lokalen Agenda 21. Ziel des Forums ist, dass Geld den Menschen dient. Träger dieses Forums ist der gemeinnützige Verein Oeconomia Augustana e.V., bei dem er als Vorstand agiert.

Benedikt Michale beschäftigt sich seit seinem 17. Lebensjahr mit dem Geld- und Finanzwesen. Erfahrungen sammelte er im Bank- und Versicherungsbereich und absolvierte ein berufsbegleitendes Studium zum Fachberater für Finanzdienstleistungen bei der IHK. Seit 2006 befasst er sich intensiv mit den Vor- und Nachteilen des aktuellen Schuld-Geldsystems. 2007 spezialisierte er sich auf nachhaltige Anlagelösungen und gründete das Familienunternehmen Finanzmanagement Michale. Das Ziel seiner derzeitigen Arbeit ist der positive Wandel in ein nachhaltiges Gesellschafts- und Geldsystem, welches im Einklang mit Mensch, Tier und Natur steht und somit allen Menschen dient. Im Jahr 2012 gründete er das Forum Fließendes Geld in Augsburg; er setzt sich aktiv für Tierschutz und Tierrechte ein.

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