Fahrrad

Fahrrad fahren in Kopenhagen

Mit dem Fahrrad unterwegs in der Fahrradhauptstadt der Welt: Johanna Pfaffenzeller lebt in Kopenhagen und sagt: Hier ist das Radfahren nicht nur ein Mittel zum Zweck. Es ist eine Leidenschaft, allgemeiner Konsens, eine Lebenseinstellung.
Mit dem Fahrrad unterwegs in Kopenhagen. Foto: Canva

Fahrrad Fahren in einer der fahrradfreundlichsten Städte der Welt

Fast 50% aller Pendler*innen nehmen in der dänischen Hauptstadt das Fahrrad für den Weg zur Arbeit und das bei Wind, Wetter und Dunkelheit. Hier in der Stadt findet man sowohl die Begeisterung der Bevölkerung für die Sache, als auch die notwendige Infrastruktur und Verkehrsorganisation.

 

Jeden Tag Fahrrad fahren

Fahrrad gefahren wird in Kopenhagen mit einer erstaunlichen Selbstverständlichkeit. Morgens aufstehen, Zähne putzen, Kaffee trinken, in die Uni oder zur Arbeit radeln, das ist der Alltag der meisten Kopenhagener. Jeden Morgen versammeln sich Menschen aller Art auf den Fahrradwegen: Männer in Anzug und Krawatte mit dem Aktenkoffer vorne im Fahrradkorb, Frauen im Business-Rock mit hohen Schuhen, Student*innen mit dem Rucksack auf dem Rücken und Kopfhörern in den Ohren, Rentner*innen die mit den Einkaufstaschen gemütlich auf der rechten Spur radeln, junge Eltern mit den Kindern in Regenjacken und Gummistiefel auf dem Rücksitz oder vorne im Lastenfahrrad: Alle beginnen den Tag auf dem Fahrrad. Sogar die Politiker*innen fahren mit dem Fahrrad ins Parlament.

 

Jeden Tag radeln die Kopenhagener 1,44 Millionen Kilometer

Auf den knapp 400 Kilometern Fahrradweg in der dänischen Hauptstadt radelt ein durchschnittlicher Kopenhagener drei Kilometer am Tag. Summiert man die Trips aller Einwohner*innen kommt man dabei auf 1,44 Millionen Kilometer an einem beliebigen Wochentag (Zahlen von 2018). Das liegt unter anderem daran, dass etwa 50% aller Pendelstrecken zur Arbeit, Schule oder Uni in der dänischen Hauptstadt mit dem Fahrrad zurückgelegt werden.

 

In Kopenhagen sind Räder in der Mehrheit

In Kopenhagen gibt es daher auch deutlich mehr Fahrräder als Autos, fünfmal mehr um genau zu sein. Etwa ein Viertel aller Familien mit kleinen Kindern besitzen sogar ein Lastenfahrrad. Zu Stoßzeiten kann es deshalb auf den Fahrradwegen schon mal enger werden. Man kann dabei sogar in Situationen kommen, die sich am besten als "Fahrradstaus" bezeichnen lassen. Es sind, ganz ähnlich wie beim Autoverkehr, dann einfach so viele Fahrräder unterwegs, dass man in eine Art Gedränge kommt und auch schon einmal anhalten und ein paar Minuten warten muss, bis der Verkehrsfluss wieder anrollt. Das kann für Fahrradeinsteiger*innen tatsächlich auch etwas überwältigend und einschüchternd sein. Mit ein bisschen Übung gewöhnt ihr euch aber schnell daran und könnt problemlos am Kopenhagener Fahrradverkehr teilnehmen.

 

Mehr Fahradwege - mehr Verkehrsregeln

Um ihren Fahrradverkehr  gut zu organisieren, müssen sich die Fahrradfahrenden in Dänemark aber auch an ein paar Regeln halten. Generell gilt auf den Fahrradwegen wie auf den Autostraßen das Rechts-Fahr-Gebot. Man hält sich immer an der rechten Seite auf, damit schnellere Radler*innen links Platz haben, um zu überholen und so der Verkehrsfluss erhalten wird. Nebeneinander fahren ist nur möglich, wenn die Fahrradwege leer oder breit genug sind, dass man selbst dann noch überholt werden kann. Viele Fahrradwege in Kopenhagen bieten dafür aber tatsächlich genug Platz.

 

Erst Hand heben, dann bremsen

Eine der wichtigsten Regeln ist, die Hand zu heben (ähnlich wie bei einem High-Five), wenn man anhalten möchte. Damit warnt man die Leute, die hinter einem radeln, vor, sodass sie langsamer werden, oder dich überholen können. So kann man Auffahrunfälle vermeiden. Rechts abbiegen funktioniert genauso simpel wie in Deutschland auch, einfach die Hand nach rechts ausstrecken, Schulterblick und ums Eck düsen.

 

Links abbiegen ist dafür etwas komplizierter. Zuerst wird die Straße überquert. Dabei wird die Hand gehoben, um vor dem Abbremsen zu warnen. Man reiht sich dann auf der anderen Seite der Straße in den Verkehr ein, der hier geradeaus will. Man selbst macht also eine 90 Grad Drehung nach links. Hier kann man nun warten, bis die Ampel in diese Richtung auf grün schaltet, und fährt dann ganz gemütlich mit dem Rest des Verkehrs geradeaus über die Straße. Somit hat man das links Abbiegen geschafft.

 

Vierspurige Fahrrad-Highways...

Die Verkehrsinfrastruktur ist in Kopenhagen deutlich mehr auf Fahrradverkehr ausgerichtet als in Deutschland. Grundlage sind große und breite Fahrradwege, auf denen teilweise sogar zu viert nebeneinander gefahren werden kann. Meist fahren Radfahrer*innen getrennt von Autos und Fußgänger*innen auf eigenen Wegen. Es gibt mehrere sehr breite Fahrrad-Straßen, die von den äußeren Stadtteilen in die Innenstadt führen. Weil man damit sher schnell in die Innenstadt kommt, werden sie auch Fahrrad-Highways genannt. Zu Stoßzeiten passen sich die grünen Ampelphasen der Geschwindigkeit der Radler*innen an, so dass sie nicht bei jeder Ampel abbremsen müssen. Für die Autofahrer bedeutet das, dass sie häufiger „Rot“ haben. In der Innenstadt kommt ihr in Kopenhagen also mit dem Fahrrad oft schneller voran als mit dem Auto. Außerdem kann man die vielen Kanäle im Hafen auch auf Fahrradbrücken überqueren, die für Autos nicht befahrbar sind. An Kreuzungen findet man oft Ampeln und Abbiegespuren extra für Fahrradfahrende. Damit man an
roten Ampeln nicht jedes Mal absteigen muss, stehen meistens an der Seite Gestelle, an denen man sich festhalten oder den Fuß abstellen kann.

 

Abfälle im "Vorbeifahren" entsorgen

Immer wieder stehen neben den Fahrradwegen auch Mülleimer, deren Öffnung den vorbeifahrenden Radler*innen zugeneigt sind, sodass diese im Vorbeifahren ihre Abfälle entsorgen können. Diese Mülleimer findet ihr beispielsweise häufig entlang des “Grønne Sti” (Grüner Weg), ein langgezogener Fahrradweg, der sich über acht Kilometer hinweg durch drei verschiedene Stadtviertel zieht. Grün ist er, weil er nicht entlang der Straßen, sondern größtenteils durch Parkanlagen verläuft, oder links und rechts von Grünstreifen gesäumt ist. Er ist einer der schnellsten Wege durch die Stadt für Radler*innen und Fußgänger*innen.

Fahrradgaragen schützen vor Wind und Wetter

Für längere Strecken, oder falls ihr mal die Lust am Radfahren verliert,  könnt ihr euren Drahtesel  kostenlos in der Metro (außerhalb der Stoßzeiten) und in der S-Bahn mitnehmen. In der S-Bahn gibt es sogar besondere Fahrradständer vorne und hinten in den Waggons. In den Metrostationen kann man das Fahrrad auch oft in Fahrradgaragen unterbringen, in denen die Fahrräder vor Wind, Wetter und Diebstahl (videoüberwacht) geschützt sind. Alle diese Vorteile und Erleichterungen für Radfahrer*innen haben Kopenhagen geholfen 2019 vom Copenhagenize Index zum dritten Mal in Folge als Fahrradhauptstadt der Welt gekürt zu werden.

Radeln im Winter

Fahrrad fahren in Kopenhagen wird einem also leicht gemacht. Gerade im Sommer ist es wunderbar gemütlich auf den breiten Radwegen. Die Tage sind lang und man braucht zwischen sechs Uhr morgens und zehn Uhr abends kein Fahrradlicht. Man setzt die Sonnenbrille auf, lässt den Fahrtwind durch die Haare streifen und genießt es, am Hafen entlang zu fahren und das Wasser glitzern zu sehen. So angenehm und romantisch das Fahrradfahren im Sommer auch ist, im Winter ändert sich das drastisch.

 

Dänische Winter sind hart: Lang, dunkel, kalt, extrem windig und nass. In Augsburg fahren im Winter deutlich weniger Menschen mit dem Fahrrad und nehmen lieber die Tram oder das Auto. Der winterliche Rückgang an Radfahrer*innen ist in Kopenhagen auch zu beobachten. Da es insgesamt jedoch viel mehr Radfahrer*innen gibt, bedeutet dieser Rückgang keine wirklcihe Winterpause im Fahrradverkehr. Die Fahrradwege sind, gerade zu den Stoßzeiten, immer noch gut gefüllt. In die vorher erwähnten “Fahrradstaus” kommt man dafür aber eher selten. Mit der richtigen Ausstattung ist ganzjähriges Fahrradfahren also durchaus möglich. Neben einem festen Willen gehören dazu gute Fahrradlichter, um in den langen Nächten gesehen zu werden, wasserfeste Winterschuhe, Regenjacken mit Klettverschluss an den Ärmeln, regenfeste Hosen zum Überstreifen, wasserfeste Handschuhe und natürlich ein Fahrradhelm. Der ist besonders wichtig, da auf nassen und glatten Straßen das Risiko zu fallen höher ist.

 

Helm oder Fahrrad-Airbag?

Tatsächlich verzichten viele Kopenhagener auf das Tragen eines Fahrradhelms. Die meisten greifen stattdessen zu sogenannten Fahrrad Airbags. Das sind kragen-ähnliche Gurte, die man um den Hals trägt. Im Falle eines Sturzes bläst der Gurt sich wie der Airbag eines Autos auf und bildet eine Art Luftballon um den Kopf herum. Es dauert nur etwa 0,1 Sekunden, dann hat sich die Schutzhülle gebildet. Der Fahrrad-Airbag hat sogar Vorteile gegenüber dem Helm. Er ist deutlich dezenter und dadurch weniger auffällig. Er sitzt nicht auf dem Kopf und somit wird die Frisur nicht schon vor der Arbeit oder dem Theaterbesuch durcheinander gebracht. Außerdem schützt der Airbag auch den Gesichts- und Nackenbereich im Falle eines Sturzes und stabilisiert im aufgeblasenen Zustand den gesamten Kopf und Hals.

 

Man darf allerdings bei eisigen Wintertemperaturen keinen Schal tragen, um das Aufblasen nicht zu unterbrechen. Auch auf hochgesteckte Haare oder große Mützen muss man verzichten, da sich die Hülle sonst nicht um den Kopf schließen kann. Man muss auch regelmäßig daran denken, den Akku aufzuladen und den Airbag vor dem Fahren zu aktivieren, damit er im Notfall reagieren kann. Außerdem ist so ein Airbag deutlich teurer als ein Helm. Ihr müsst mit bis zu einigen hundert Euro rechnen. Wenn er einmal ausgelöst hat, kann er nicht wiederverwendet werden. Hat er also einmal bei einem Sturz geschützt, braucht man einen neuen Herkömmliche Helme sollten nach einem Sturz allerdings auch ersetzt werden.

 

Der Fahrrad Airbag ist auch ausschließlich für alltägliches Radfahren geeignet. Für Mountainbiking, BMX oder Ähnliches kann er also nicht verwendet werden. Leider ist er ebenfalls nicht für alle Körpergrößen geeignet, da ein Kopfumfang von 52-59 cm nicht über- oder unterschritten werden darf.

 

Mit dem Fahrrad durch Kopenhagen und Augsburg

Seit ich in Kopenhagen wohne, fahre ich (fast) ausnahmslos jeden Tag Fahrrad: In die Uni, zu Freund*innen, oder zum Einkaufen. Durch einfaches, alltägliches Pendeln zwischen diesen Stationen komme ich am Tag auf etwa eine Stunde Radeln. Das ist nicht nur gut für meinen Geldbeutel, sondern auch für meine Gesundheit und Ausdauer und verringert ebenfalls meinen CO2-Ausstoß. Morgens in der frischen Luft weckt mich die erste Tour auf dem Weg zur Uni erst richtig auf und abends kann ich in Gedanken schon das Abendessen planen oder den Tag Revue passieren lassen.

 

Fünfzehn Minuten nur für mich selbst

Es sind jeweils fünfzehn Minuten, die ich für mich selbst habe und etwas Ruhe gewinnen kann. Neben dem unkomplizierten täglichen Transport, hat das Fahrradfahren mir sogar einen interessanten Nebenjob eröffnet. Ich arbeite als Fahrrad-Tourist-Guide und nehme drei bis viermal in der Woche Tourist*innen mit auf eine dreistündige Fahrradtour durch Kopenhagen mit, auf der wir uns alle Highlights der Innenstadt anschauen. Die Teilnehmer*innen können dabei die Stadt ganz authentisch und im Stil der Kopenhagener vom Fahrrad aus erkunden.

 

Ich kann mich in Augsburg auch an viele schöne Fahrrad-Momente erinnern: Am Wertach- oder Lechufer entlang radeln, durch die Fahrradstraßen in Pfersee und im Spickel, und mit Freund*innen an Fahrraddemos für den Ausbau der Fahrradinfrastruktur in Augsburg teilnehmen und mit mehreren hundert Gleichgesinnten über die A8 radeln.

 

Radfahren als Lebenseinstellung

Gleichzeitig habe ich in Kopenhagen erfahren, wie viel mehr noch drin wäre und welche Verbesserungsmöglichkeiten es gibt, um den Fahrradverkehr in Augsburg noch sozialer, partizipativer und umweltfreundlicher zu gestalten. In Kopenhagen ist Radfahren nicht nur ein Mittel zum Zweck. Es ist eine Leidenschaft, ein allgemeiner Konsens, eine Lebenseinstellung, die alle miteinander verbindet, ungeachtet des Alters, des Berufs und der Zahl auf der Gehaltsabrechnung: Das Fahrrad.

 

Ihr wollt noch mehr Zahlen und Daten? Dann schaut hier, bei der Embassy of Danish Cycling

 

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