"Wir sprechen hier über das Leben an sich."
In der Natur hat alles einen Grund, jede Art ihren Zweck. Wenn bestimmte Arten aussterben, auch kleine Insekten die krabbeln und nervig sind, fehlen sie in unserem lebenswichtigen Ökosystem.
In Deutschland ist in den letzten 30 Jahren an 96 Orten eine ausführliche Studie über Insekten durchgeführt worden. Das Ergebnis, das im Oktober 2017 veröffentlicht wurde, war sehr deutlich. An vielen Orten Deutschlands sind über 75 Prozent der fliegenden Insekten verloren gegangen und es ist zu befürchten, dass diese dramatische Zahl auf ganz Deutschland übertragbar ist.
Um zu erfahren, was die Stadt Augsburg zu diesem Thema macht, sprach Lifeguide-Gastautorin Maya Strömgren mit Diplom-Biologin Birgitt Kopp vom Amt für Grünordnung, Naturschutz und Friedhofswesen und mit Diplom-Landschaftsarchitekt Nicolas Liebig vom Landschaftspflegeverband. Sie erfuhr unter anderem, dass verschiedene Insekten in Augsburg schon seit 1846 gezählt werden und erstellte fünf Top-Tipps, was wir für die Artenvielfalt tun können.
Maya Strömgren: Wie ist die Situation in Augsburg im Vergleich zu anderen Städten?
Nicolas Liebig: In Augsburg sind deutlich mehr Flächen Naturschutzgebiete als in anderen deutschen Städten.
Von 147 Quadratkilometern Stadtgebiet stehen 28% unter Naturschutz, fast ein Drittel, das ist wirklich etwas Ungewöhnliches.
Um die Naturschutzgebiete zu pflegen, brauchen wir jedoch viel Zeit und Geld, um weiterhin zu erhalten und zu fördern, was wir jetzt noch haben. Die Flüsse Wertach und Lech bringen uns eine besonders artenreiche Landschaft, trotzdem wurde Augsburg nicht vom Insekten- und Artenverlust verschont. Das Rebhuhn, das auf Insekten als Nahrung für die Jungen angewiesen ist, hat zum Beispiel seit 1980 europaweit um 94% abgenommen. Den Trend bemerkt man auch hier in unserer Umgebung.
Birgitt Kopp:
Seit 1846 zählt der Naturwissenschaftliche Verein für Schwaben alle möglichen verschiedenen Insekten: Vom Schmetterling bis zur Eintagsfliege. Wir konnten also zum Glück sehr früh beurteilen, wie sich bei uns in der Region die Situation verändert.
Und deshalb wurde bei uns auch frühzeitig sehr viel gemacht und wir konnten die Artenvielfalt am Lech und an der Wertach immerhin auf den Restflächen, die der Mensch nicht für sich beanspruchte, erhalten. Augsburg hat im Verhältnis zu anderen Städten also eine bessere Ausgangslage.
Was sind die wichtigsten Maßnahmen der Stadt Augsburg um das Insektensterben zu verhindern?
Nicolas Liebig: Unsere wichtigste Maßnahme ist, uns um die Naturschutzgebiete zu kümmern. Besonderes auf den Lechheiden haben wir eine große Artenvielfalt. Dort werden die Weiden vorsichtig gemäht und die Wanderschäfer leisten eine wichtige Arbeit, um die Kulturlandschaft zu behalten.
Um Insekten und Biodiversität zu fördern, bringen wir große Pflanzenfresser zurück: Schafe, aber auch Rinder und sogar Wildpferde. Durch den Kot wird der Samen verteilt.
Die Beweidung fördert auch die Ansiedlung von viel mehr Insekten. Mit ihnen kommen auch andere Tiere, wie beispielsweise Vögel.
Birgitt Kopp: Da macht die Stadt Augsburg eigentlich ganz viel. Zum Beispiel entwickeln sich wahnsinnig viele Insekten, Larven und Käfer in Totholz.
Je mehr Totholz wir haben, desto mehr Artenvielfalt haben wir. Auch für Vögel und Fledermäuse ist dieser Lebensraum wichtig.
Wir haben ganz viele fachkundige und interessierte Baumpfleger, die immer kritisch prüfen, was sie im Sinne der Biodiversität stehen lassen können. Manchmal helfen uns auch Zufälle. In einem unserer Parks wurden Solitärbienen gefunden, über deren Vorkommen der zu Rate gezogene Fachmann völlig erstaunt war. Er fragte, wie die Fläche denn gemäht werde. Wir mähen immer in der Früh, um sechs Uhr, wenn noch keine Erholungssuchenden auf dem Rasen liegen. Dann sind aber auch viel weniger Insekten unterwegs. Wenn man also um sechs Uhr den Rasen mäht, tötet man viel weniger Insekten.
Der Landschaftspflegeverband ist auch ein ganz wichtiger Partner für die Stadt Augsburg. Der Verband versucht immer das gesamte Spektrum von Pflanzen und Tieren zu pflegen und zu schützen und nicht nur einzelne Arten.
Als der Bericht vom Insektensterben im Oktober 2017 erschien, waren Sie überrascht von dem Ergebnis?
Birgitt Kopp: Nein, ich war gar nicht überrascht.
Wenn man sich mit Natur beschäftigt, dann fällt es auf, dass die Insekten immer weniger werden.
Früher musste man sie zum Beispiel immer von den Scheiben auf dem Auto kratzen, aber heute gibt es kaum noch Insekten auf den Scheiben. Der Mensch hat wirklich einen erschreckend großen Einfluss und schränkt so viele Lebensräume ein. Wir haben immer geahnt, dass wir einen wahnsinnig großen Artenverlust haben.
Leider interessiert es fast keinen, dass wir zum Beispiel durch die Begradigung des Lechs immer weniger Eintagsfliegen haben. Niemand ist darüber erschrocken, sondern die Leute freuen sich und sagen: „Das ist doch super, dann haben wir nicht dauernd diese Krabbeltiere, sie sind so nervig."
Intensive Landwirtschaft wird ja als eine der Hauptursachen für das Insektensterben genannt. Was machen Sie in dieser Hinsicht?
Birgitt Kopp: Dazu muss man wissen, dass die Stadt Augsburg selbst keine Landwirtschaft betreibt. Wir sind also auf den Dialog mit den Landwirten angewiesen und können höchstens bei der Verpachtung von Flächen durch Vorgaben unsererseits einwirken.
Grundsätzlich ist es immer eine Frage von gegenseitigem Vertrauen. Ein gutes Beispiel für gelungene Zusammenarbeit sind die Trinkwasser-Schutzgebiete der Stadtwerke Augsburg. Die SWA kooperieren seit über 25 Jahren mit Landwirten der Region und setzen sich für Trinkwasserschonende Feldbewirtschaftung ein. Jeden Sommer blühen in den Trinkwasser-Schutzgebieten in Augsburg und Umgebung wunderschöne Blumenwiesen und Blühfelder. Die SWA unterstützen darüber hinaus den Erhalt von sogenannten "Lerchenfenstern" in Getreidefeldern. Hier können Lerchen ungestört brüten. Die strengen Auflagen der SWA für den Grundwasserschutz in Bezug auf Düngung und auch Pflanzenschutzmittel kommen der Natur zugute.
Die Landschaft und die Naturschutzgebiete in und neben den Trinkwasserschutzgebieten haben außergewöhnlich artenreiche Wiesen und viele Ackerwildkräuter, da muss man weit fahren, um etwas Vergleichbares zu finden.
Nicolas Liebig: Wir arbeiten unter anderem mit sogenannten PIK-Maßnahmen (Produktionsintegrierte Kompensation). Dabei arbeiten Landwirte mit Gewerbetreibenden zusammen und kompensieren deren Flächenverbrauch. Die Landwirte bauen auf einem Teil ihrer Ackerfluren tier- und insektenfreundliche Pflanzen an und erhalten dafür Ausgleichszahlungen. Wir können beobachten, dass auf diesen Flächen die Insekten wieder zunehmen, und damit auch beispielsweise die Population von Rebhühnern.
Wie können wir in unserem Alltag etwas für den Erhalt der Insekten tun?
Nicolas Liebig:
Wir können uns selbst die wichtige Frage stellen: „Was konsumiere ich?“ Konventionelle Produzenten von Lebensmitteln und Kleidung benutzen viele Chemikalien und wer ein umweltfreundliches Produkt wählt, trägt auch dazu bei, dass der Lebensraum für mehr Insekten erhalten bleibt.
In unserer Region lassen zum Beispiel Wanderschäfer ihre Herden auf den Lechheiden weiden und das Fleisch des Lechtal-Lammes steht zum Verkauf. Wer Fleisch vom Lechtal-Lamm kauft, unterstützt die Biodiversität unserer Region und damit auch die Insekten.
Birgitt Kopp:
Auch in unseren eigenen Gärten haben wir viele Möglichkeiten: Es gibt einen Trend, die Vorgärten mit Wurzelsperrfolie zu versehen. Dann kommt Kies darauf und vielleicht eine Zierkugel oder manchmal eine immergrüne Pflanze. In solchen Gärten möchte kein Insekt leben.
Ein richtig schöner Garten für die Insekten ist einer mit vielen Blüten, wo über die Winter einfach die Stauden mit ihren Samen stehen bleiben. Die Insekten brauchen Überwinterungsplätze und das sind zum Beispiel hohle Stängel von Gartenstauden. Wenn ich die im Herbst alle abschneide, dann trage ich zum Insektensterben bei. Statt Buchsbaumkugeln und einem perfekten Rasen, können wir Wildblumen aussäen und die Wiese das erste Mal im August mähen. Und wir sollten nicht bei jedem Insekt, das wir sehen, gleich in Panik ausbrechen. Die Natur bringt nichts hervor, was nicht auch in irgendeiner Form einen gewissen Zweck erfüllt. Wenn man bestimmte Arten ausrottet, auch unbewusst, dann fehlen sie in die Nahrungskette. Dann ist das ganze System nicht mehr stabil.
Ich stelle mir vor, dass die Gärten wie kleinen Inseln sind, zwischen dem Stadtwald und den Naturschutzgebieten, stimmt das?
Birgitt Kopp: Ja, genau, jeder Garten und jeder Balkon, auch das Straßenbegleitgrün in Augsburg ist ein sehr wichtiger Trittstein oder ein „Verbindungsband“ zwischen den Flächen. Viele Insekten fliegen nicht weit, deshalb brauchen sie immer mehrere Standorte auf denen sie Rast machen können. Der Austausch zwischen den Flächen ist notwendig, um sich genetisch miteinander auszutauschen. Da kann jeder bei sich zu Hause etwas machen, zum Beispiel insekten- und bienenfreundliche Blumen pflanzen! Am besten sind heimische Arten wie z.B. Oregano, Margeriten, wichtig ist auch, dass die Blüten nicht gefüllt sind.
Besonders hilfreich ist es für die Insekten, wenn bereits sehr früh und auch bis spät in den Herbst etwas im Garten blüht, damit die „mageren“ Zeiten gut überbrückt werden können.
Wo können wir erfahren, was die Stadt Augsburg zu diesen Themen macht?
Nicolas Liebig: Auf die Homepage von Landschaftspflegeverband gibt es viele Information über unsere Arbeit, über die Naturschutzgebiete und auch über die Möglichkeit an verschiedenen Workshops teilzunehmen.
Birgitt Kopp: Wir hier am Amt für Grünordnung, Naturschutz und Friedhofswesen geben gern Auskunft, wenn jemand Fragen hat und anruft. Bei uns gibt es auch eine Liste für Gärtner, die insektenfreundliche Gartenpflanzen beschaffen können.
Ihr letztes Wort?
Wir müssen die Menschen dafür gewinnen, sich für Biodiversität zu interessieren. Biodiversität ist nichts Kompliziertes, es hört sich nur kompliziert an. Biodiversität beinhaltet alles, was Leben ist, wir sprechen hier über das Leben an sich", Birgitt Kopp
Tipps:
1. Bring Unordnung in den Garten! Die Insekten brauchen Stauden und kleine Verstecke zum Überwintern. Hier eine Liste mit bienenfreundlichen Pflanzen
2. Mehr Blüten in den Garten und auf den Balkon! Die Blüten geben den Insekten Nektar und wirken wie „Trittsteine“. Am besten heimische Stauden pflanzen.
3. Baue ein Insektenhotel! Gib den Insekten ein Heim. Ganz einfache Instruktionen im Internet.
4. Bewusst einkaufen! Alles was du konsumierst beeinflusst die Umwelt und damit auch die Insekten. Vermeide die negativen Effekte durch weniger Konsum und kaufe so viele umweltfreundliche Produkten wie möglich.
5. Keine Angst vor Insekten! Lass sie leben! Die Insekten sind nicht grundlos auf unserer Welt: Sie bestäuben unsere Pflanzen und versorgen uns dadurch mit Lebensmitteln. Außerdem ernähren sie unsere Vögel.
Wie können Wissenschaft und Gesellschaft voneinander profitieren?
Dieser Artikel ist ein Ergebnis des ersten Lifeguide-Seminares an der Universität Augsburg, das unsere Redakteurinnen Cynthia Matuszewski und Sylvia Schaab im Wintersemester 2017/ 2018 im Fachbereich Geographie anboten.
Die Kernfrage lautete: Wie können Wissenschaft und Gesellschaft voneinander profitieren? Indem sie so oft wie möglich miteinander sprechen und sich austauschen. Indem also beispielsweise junge Wissenschaftler*innen in allgemein verständlicher Sprache von ihren Forschungsprojekten, ihren Forschungsfragen oder ihren Zukunftsmodellen berichten. Im Laufe des Seminars wurde über Verständlichkeit gesprochen, über Recherche, Gegenrecherche, Überschriften, Teaser, Fotos und vieles mehr. „Das war eine inspirierende Zeit für uns von der Lifeguide-Redaktion mit sehr engagierten Studentinnen und Studenten des Fachbereichs Geographie. Es hat Spaß gemacht, mit ihnen in einer Uni-Redaktion zusammenzuarbeiten!“, berichten Cynthia Matuszewski und Sylvia Schaab. Am Ende dieser vielversprechenden Zusammenarbeit lagen dem Lifeguide im Februar 2018 insgesamt 11 neue Artikel vor. Sie werden im Laufe des Jahres 2018 veröffentlicht. Wir freuen uns darauf.