Bio frei Haus
Der ein oder andere kennt sie aus der Werbung – Die rollende Gemüsekiste. Dieser Lieferservice für Bioprodukte bringt wöchentlich rund 3.000 Kisten im Großraum Augsburg nach Hause zu den Kund*innen. Die Frischwaren stammen zum Großteil von regionalen Erzeuger*innen. Alle Produkte sind Bioqualität. Wie funktioniert so ein Betrieb? Und wer steckt dahinter? Wir haben Die rollende Gemüsekiste besucht und einen halben Tag den Gründer und Geschäftsführer Hermann Haas-Hübsch begleitet.
Bio und regional, direkt vom Erzeuger
Landwirt Albert Scharnagl unterbricht seine Arbeit, als er den Geschäftsführer der rollenden Gemüsekiste und uns um neun Uhr morgens begrüßt. Wir befinden uns in einer Gärtnerei in der Nähe von Schwabmünchen. Sie gehört zu den wenigen Höfen, die um diese Jahreszeit – es ist Ende November – noch Felder bewirtschaften. Wir schauen uns an, woher Die rollende Gemüsekiste einen Teil ihrer Ware bezieht. Der Lieferservice für regionale Bioprodukte hat strenge Vorgaben an seine Lieferanten. Bei heimischen Obst und Gemüse gilt bio und regional, direkt vom Erzeuger. Wobei diese zusätzlich nach den Richtlinien anerkannten Bio-Verbänden arbeiten.
Seit der Gründung des Lieferservices 1995 hält Haas-Hübsch das so. So stehen wir vor dem Gewächshaus mit Feldsalat, Schnittlauch und Endivien. „Wir ermöglichen die Ernte von Salaten und Kräutern durch unser Kaltgewächshaus“, erklärt Scharnagl. „So können wir fast das ganze Jahr über ernten.“ Der Bioland-Betrieb Scharnagl gehört zu einem von insgesamt 39 Lieferanten der rollenden Gemüsekiste.
Für jede Sorte für den richtigen Boden
Der Landwirt führt uns weiter durch seine Lagerräume. Es türmen sich meterhoch Kisten. „Alles Karotten“, erklärt er. „Diese Sorte hält sich bei korrekter Lagerung mehrere Monate.“ Damit sie nicht austrocknen sind die Holzkisten mit Plastikfolien eingeschlagen. Diese werden bis zu 10 Jahre verwendet, versichert uns der Landwirt, der seit dem Start seines Betriebs vor 20 Jahren biozertifiziert produziert. Denn auf die Verwendung von Plastik versucht man im Biolandbau weitestgehend zu verzichten. Ganz ohne geht es aber leider nicht. Der Handel verlangt abgepackte, gewogene Ware. Die Karotte, die am Ende den Hof verlässt, ist daher bisweilen nicht nur sauber geputzt und vom Grün befreit, sondert findet sich mit anderen in einer Plastiktüte. Nicht so jene, die zur rollenden Gemüsekiste kommen. Wöchentlich liefert der Landwirt ca. 1.700 kg Karotten an den Firmensitz in Affing. Man merkt sofort, dass Scharnagl stolz auf seine Rüben ist, die nicht nur gut aussehen, sondern auch süß und aromatisch schmecken. Davon dürfen wir uns selbst überzeugen. Die richtige Sorte für den Boden zu finden, ist dabei eine Voraussetzung für eine ertragreiche Ernte.
Mit der Möhre in der Hand machen wir einen Sprung in der Lieferkette – vom Erzeuger zur Auslieferung. Es führt uns nach Großaitingen. Hier treffen wir Christian Schuster, der seit 20 Jahren für Die rollende Gemüsekiste arbeitet und damit zu den dienstältesten Mitarbeitern gehört. Er beliefert gerade einen Einfamilienhaushalt mit einer Kiste voll frischem Obst und Gemüse, darunter Scharnagls Karotten. Die Familie ist nicht zuhause, daher geht er geschwind in den Vorgarten und tauscht die von der Familie bereitgestellte leere Kiste gegen eine neue aus.
Weiter geht’s zum Kindergarten St. Nikolaus. Hier wartet schon die Erzieherin Karin Schuller auf die Lieferung. Es steht das wöchentliche „Gesunde Frühstück“ an. Mit frischem regionalen Obst und Gemüse soll den Kindern eine gesunde Ernährung nähergebracht werden. Eine sinnvolle Sache, wie Schuller findet: „Für uns und die Kinder ist das wöchentliche Frühstücksbuffet eine tolle, gesunde Abwechslung, und den Kindern schmeckt es.“ Die rollende Gemüsekiste ist offizieller Bio-Lieferant für das Förderprogramm "EU-Schulprogramm", das von der EU und dem Freistaat Bayern finanziert wird.
15 Fahrer liefern in einer Woche 3.000 Kisten
Christian Schuster nimmt sich hin und wieder Zeit für einen kurzen Plausch. Aber nur kurz, schließlich stehen rund 80 Lieferungen auf seiner Liste, bis zu sechs Stunden ist er dafür pro Liefertag auf den Beinen bzw. hinter dem Steuer.
Die rollende Gemüsekiste liefert rund 3.000 Kisten an fünf Tagen pro Woche aus. 15 Fahrer sind dafür im Einsatz. Das Gebiet reicht von den südwestlichen Randbezirken Münchens bis nach Monheim im Norden Schwabens und von Altomünster im Osten bis nach Ulm und Umgebung. Und nicht jede Lieferung ist so unkompliziert wie die in den Kindergarten St. Nikolaus. Es wird dahin geliefert, wohin der Kunde wünscht – das kann auch mal vor die Wohnungstür im sechsten Stock sein. „An zwei Tagen liefere ich aus, an den anderen bin ich im Lager oder auf den Wochenmärkten, das schafft Abwechslung“, erklärt Schuster.
Wir staunen, als wir das Warenlager betreten. Am späten Vormittag herrscht hier reges Treiben. Mehrere Damen wiegen Obst und Gemüse ab und verteilen es in verschiedene Kisten. Nebst wuseliger Geschäftigkeit herrscht gute Stimmung. Die Teamleiterin der Packstation, Karola Hirschler, erklärt uns das Vorgehen: „Unsere Arbeit wird durch ein Warenwirtschaftssystem erleichtert, das uns jede einzelne Bestellung aufzeigt – auch die individuellen, kurzfristigen Kundenwünsche“. Wir schauen uns ein paar Kisten näher an und finden neben Rohkost auch ein breites Sortiment an Naturkost.
Erdbeeren im Winter gibt es nicht
Geschäftsführer Haas-Hübsch führt uns in sein Trockenwarenlager. Es riecht nach Gewürzen, Käse und Brot. Hier schwingt Brigitte Schiller das Zepter. Wir sind von der Vielzahl der Artikel überrascht: Marmeladen, Teigwaren, Weine, und und und. Alles ist Bioware, wie uns die Chefin des Trockenwarenlagers versichert, nach Möglichkeit von Bio-Verbänden wie Demeter, Bioland oder Naturland. Möglichst regional, saisonal und in Bioqualität – so das Credo der rollenden Gemüsekiste. „Erdbeeren im Winter gibt es bei mir einfach nicht, da muss der Kunde woanders hingehen“, erklärt Haas-Hübsch seinen Standpunkt.
An anderer Stelle geht der 50-Jährige durchaus Kompromisse ein. Um dem Kunden ein breites Sortiment anbieten zu können, gibt es auch Südfrüchte wie Bananen, Kakis oder Ananas. Neben der Bioqualität wird darauf geachtet, dass die Ware per Schiff geliefert wird und nicht mit dem Flugzeug.
Im Büro nebenan telefoniert Sabine Paulus gerade mit einem Kunden. Die Kundenbetreuerin arbeitet seit 12 Jahren für den Betrieb und schätzt den persönlichen Kontakt mit den Menschen. „Feedback ist uns wichtig“, erklärt Paulus. „Gleichzeitig möchten wir auf individuelle Kundenwünsche eingehen. Die Kundin von eben hat Käse, Brot und Wein für ihren Geburtstag bestellt. Normalerweise bekommt sie von uns wöchentlich eine Regionalkiste mit saisonalem Obst und Gemüse. Vielleicht kommt sie auf den Geschmack unserer weiteren Waren“, schmunzelt Paulus.
Insgesamt sind 10 Personen für die Bürotätigkeiten zuständig. Darunter auch Carina Hahn, zweite Geschäftsführerin der rollenden Gemüsekiste. Die Tochter des Gründers ist seit 2003 im Unternehmen dabei und lenkt gemeinsam mit ihrem Vater den gewachsenen Familienbetrieb. „Zu unseren großen Herausforderungen gehört, den digitalen Anschluss zu wahren. Die Kunden möchten heute über Apps bestellen. Das müssen wir künftig gewährleisten“, so die junge Unternehmerin. Wer weiß, vielleicht können dank der rollenden Gemüsekiste bald schon Scharnagls Karotten mit einem Klick über eine App noch schneller bestellt werden – eine charmante Vorstellung.
(Anmerkung der Redaktion: Die Reportage stammt von 2017. Inszwischen gibt es die von Carina Hahn beschriebene Bestell-App und ihr könnt Landwirt Scharnagls Möhren und natürlich das gesamte Sortiment der rollenden Gemüsekiste dort bestellen!)
Ein Interview mit Carina Hahn und Hermann Haas-Hübsch findet ihr hier