Geld

"Wollen wir das Geld lieben oder das Leben?"

Vom Materialisten zum überzeugten Gemeinwohl-Ökonomisten: Michael Schnitzleins engagiertes Plädoyer für die Gemeinwohl-Ökonomie
Michael Schnitzlein aus Augsburg.Foto: Markus Büttner mgo media

Angefangen hat alles 2017. Seitdem versuche ich, auf Plastikmüll zu verzichten. Die ersten verpackungsfreien Läden wurden ausfindig gemacht, das eigene Leben nach und nach auf Nachhaltigkeit umstrukturiert. Spaziergänge durch die Stadt und am Lech haben das erschreckende Ausmaß der Müll-Problematik besser verdeutlicht als es mit irgendeiner Naturdoku jemals möglich gewesen wäre.

 

Durch solche Erlebnisse ist die Gedankenmaschine angesprungen: Was bewegt die Menschen zu diesem Handeln? Warum lassen die Menschen ihren Müll nach einer Grillparty liegen? Warum fahren sie so viel Auto, wieso fliegen sie so viel?

 

Ich bin selbst das Problem

All diese Fragen habe ich mir gestellt, um irgendwann zu begreifen: „Du selbst bist das Problem.“ Zwischen meinen eigenen Werten und meinem täglichen Handeln lagen Welten. Nach einer anfänglichen Ohnmacht ist mir klar geworden, welche Macht ich in Wirklichkeit habe. Jede meiner tausend Entscheidungen am Tag kann dazu beitragen die Welt entweder zu einer besseren zu machen oder sie langsam zu zerstören.

Das anfängliche plastikfreie Leben wurde durch einen vegetarischen beziehungsweise veganen Haushalt ergänzt, meine Einkäufe komplett auf Bio umgestellt, für mein Auto suche ich nach Freunden, die es mit mir teilen. Ich hatte das Gefühl, dass ich mit jedem konventionellen Kauf der Natur, den Tieren und Menschen weiteren Schaden zufüge. Jeder Kauf lässt mich und die Gesellschaft weiterlaufen in dem Hamsterrad des Kapitalismus, des Lohn-Dumpings, der groß angelegten Steuerhinterziehungen, der Kinderarbeit, der Korruption der Zerstörung von Regenwäldern, dem Schmelzen der Arktis, dem Absterben des Great Barrier Reefs.

Ich möchte nicht mehr auf Kosten der Natur, anderer Menschen und zukünftiger Generationen leben. Und die Gruppe derer, die ein anderes, ein gerechteres, ein ökologischeres System will, diese Gruppe wächst und mit ihr wächst auch die Hoffnung."

Die Gemeinwohl-Ökonomie gibt Antworten auf die meisten meiner Fragen

Aber was soll man anders machen? Man kann das System doch nicht einfach ändern und vor allem kann ich das nicht. Kann man doch – kann ich doch! Es gibt unzählige Alternativen, wir müssen sie nur nutzen! Mit der Gemeinwohl-Ökonomie habe ich einen Ansatz entdeckt, der Antworten auf die meisten meiner Fragen gibt. Eine Wirtschaftsform, die auf den gleichen Prinzipien beruht, die mich auch im Privaten glücklich machen: Kooperation, Menschenwürde, Solidarität, Leben im Einklang mit der Natur.

 

Ich bin der festen Überzeugung, dass (fast) alle Menschen gute Werte und Absichten haben und in einer Welt leben wollen, in der es kein Leid gibt.

 

Nach einer anfänglichen Skepsis gegenüber der Gemeinwohl-Ökonomie habe ich mich in meiner Bachelorarbeit mehr mit alternativen Wirtschaftsformen beschäftigt. Ich habe sämtliche Nachhaltigkeitsberichte der deutschen Konzerne im CDAX  analysiert  und daraufhin Bezug auf die Gemeinwohl-Ökonomie bzw. die Gemeinwohl-Bilanz genommen. Das ernüchternde Ergebnis über die Nachhaltigkeitsleistung der „Großen“ ließ mich nicht mehr los und ich spürte, dass ich etwas bewegen kann mit meinem Tun.

Die Wirtschaft ist kein Naturgesetz, sondern wird durch uns Menschen definiert.

Sämtliche Skandale sozialer oder ökologischer Natur, wurden von den Unternehmen in ihren Berichten nicht erwähnt – die Gemeinwohl-Bilanz würde genau solche Themen aufdecken. Sie ist ein Instrument, das sämtliche Aktivitäten eines Unternehmens im Hinblick auf soziale und ökologische Nachhaltigkeit durchleuchtet. Mit unserer aktuellen Wirtschaftsweise, mit dem einzigen Ziel der Gewinnmaximierung und der damit einhergehenden Ausbeutung von Mensch und Natur rasen wir mit 200 km/h gegen eine Wand. Die Frage, die wir uns jetzt stellen müssen, ist, wie wir abbremsen und somit einen Totalschaden vermeiden können. Alles muss anders werden – und zwar ziemlich schnell.

 

Ergänzt man die Prinzipien der Gemeinwohl-Ökonomie mit neurowissenschaftlichen Erkenntnissen, könnten wir es wirklich schaffen glücklich zu sein,  ohne dass jemand auf der Strecke bleibt. Geld kann nur bis zu einem gewissen Betrag glücklich machen. Es ist unsinnig 50 Stunden pro Woche in einem Job zu ackern, der einen psychisch und physisch zermürbt, um Dinge kaufen zu können, die einen nur für kurze Zeit erfüllen. Die Gemeinwohl-Ökonomie schafft dagegen eine kontinuierliche Zufriedenheit mit sich selbst, mit anderen Menschen und der Umwelt – kurz: ein Leben im Einklang mit den persönlichen Grundwerten."

 

Der Fall Corona zeigt, wie wichtig Kooperation und ein auf Solidarität basierendes globales Netz sind. Der Kapitalismus ist dabei sich selbst abzuschaffen. Er ist in Krisen nicht tragbar, wir haben als Menschheit eine andere Zukunft vor uns: die kleineren Strukturen sind, wenn wir sie unterstützen, deutlich resilienter als Großkonzerne, die uns in Ausnahmezeiten durch die in Anspruch genommenen öffentlichen Subventionen noch weiter in eine Wirtschaftskrise ziehen.

 

Wir dürfen die schulstreikenden Jugendlichen nicht vergessen, denen wir es zu verdanken haben, dass es für die breite Masse immer schwieriger wird, sich am Thema Klimaschutz vorbei zu schwindeln. Die Probleme, die wir vor der Pandemie hatten, sind immer noch da: Ausbeutung, Flüchtlingsproblematik, Artensterben und das Zumüllen von Meeren und Flüssen, wie beispielweise dem Lech. Wir müssen jetzt etwas tun und ich habe für mich den Weg über die Gemeinwohl-Ökonomie gefunden.

 

Lasst uns die Welt doch einfach besser machen.

Wieso sollten wir uns bekriegen? Wieso sollten wir die Ellbogen ausfahren, um unsere Ziele zu erreichen? Wieso sollte Geiz geil sein und nicht Teilen und Kooperation?

Ich kann mir nicht vorstellen, dass es Menschen glücklich und zufrieden macht die Umwelt zu zerstören. Kooperation ist im Menschen mindestens so stark verankert wie Konkurrenz. Aber wir entscheiden jedes Jahr, jeden Monat, jeden Tag, welchen Weg wir gehen. Wieso müssen andere Menschen für unseren Wohlstand bluten? Wieso müssen wir die natürlichen Ressourcen bis auf ein Maximum ausbeuten?

 

Wir zeigen mit unseren 20 GWÖ-Unternehmen in Augsburg im Kleinen, dass es auch anders geht. Wir brauchen die kleinen Strukturen. Wir sind auf sie angewiesen, gerade wenn es hart auf hart kommt. Und das wird einem leider oft erst in schlechten Zeiten bewusst.

Wir können uns entscheiden, ob wir das Leben lieben oder das Geld.

Wir tun und tun und doch bleibt oft etwas Trauriges zurück, – nämlich die Sehnsucht nach Leben. Ich möchte das nicht mehr. Ich möchte nicht mehr auf Kosten der Natur, anderer Menschen und zukünftiger Generationen leben. Und die Gruppe derer, die ein anderes, ein gerechteres, ein ökologischeres System will, diese Gruppe wächst und mit ihr wächst auch die Hoffnung.

INFO: Hier geht es zu der Bachelorarbeit von Michael Schnitzlein: "Die Gemeinwohl-Bilanz als Instrument zur ganzheitlichen Bewertung von Nachhaltigkeitsaspekten."

 

In der Region Augsburg sind folgende Unternehmen gemeinwohlzertifiziert:

Hier geht es zu Gemeinwohl-Ökonomie, Regionalgruppe Augsburg

Kontakt: augsburg@list.ecogood.org

 

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Ein spannendes Interview mit Michael Schnitzlein zum Thema Gemeinwohlökonomie findet ihr auch auf der Website Aufgeklärtes Herz

Erstveröffentlichung dieses Artikels im Lifeguide am 31.12.2020

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