Urban Gardening

Mehr Unkraut gegen das Bienensterben

Wo kein Unkraut wächst, summt keine Biene, krabbelt kein Käfer und singt kein Vogel. Ein solcher Ort ist eine Wüste, in der die Natur verstummt. Gastkolumne von Ursula Hudson
Bienen im Anflug auf ihren Bienenstock. Foto: fotolia_fotografiero

Misstraue dem Ort, an dem kein Unkraut wächst. Dies ist eine alte Gärtnerweisheit. Sie stammt aus einer Zeit, in der das eingehegte Stückchen Land überwiegend der Selbstversorgung mit Obst, Gemüse und Schnittblumen diente. Man wusste damals zu unterscheiden. Zufällig Hergewehtes wie Giersch, Löwenzahn oder Gundermann (Soldatenpetersilie) galt als wohlschmeckende und gesunde Verlängerung des Speisezettels.

 

Wildblumen wie Kamille, Ringelblume oder Wiesenschaumkraut fanden Eingang in die Hausapotheke. Die Betonung des Wörtchens »Unkraut« lag auf der zweiten Silbe. Man verstand aber nicht nur das Nützliche. Die beobachtende Erfahrung zeigte: Wo kein Unkraut wuchs, summte keine Biene, krabbelte kein Käfer und sang kein Vogel. Ein solcher Ort ist eine Wüste, in der die Natur verstummt.

 

Wir haben heute dieses Wissen vom Sinn des Unkrauts vergessen. Oder aber, es ist uns herzlich egal. Anders kann ich mir nicht erklären, warum wir tatenlos einer beispiellosen Ausräumung unserer Landschaften beiwohnen. Ist nicht klar, dass die Hochleistungslandwirtschaft dem sogenannten Unkraut – Betonung auf der ersten Silbe – den Krieg erklärt hat? Dass ganze Landstriche durch Gift und Gülle versengt und in monoindustrielles Ödland verwandelt werden?

 

Insekten nahezu vollständig ausgerottet

Alle heilige Zeit werden die Folgen am Beispiel des Aussterbens irgendeines putzigen Tierchens zum Thema. Dieser Tage ist es die Westliche Honigbiene, die bedroht ist. Imker berichten von kollabierenden Völkern, dem zunehmendem Parasitenbefall und klagen über den dramatischen Rückgang der Blütentracht. Doch die Biene hat einen Überlebensvorteil. Sie ist nützlich. Ihre Völker produzieren Honig und sind eifrige Bestäuber. Daher wurde »Apis Mellifera«, so ihr botanischer Name, vom Menschen domestiziert. Heute ist sie ein Nutztier wie das Hausschwein oder Rind. Ihre Wildform ist in Deutschland ausgestorben.

 

So steht die domestizierte Honigbiene unter dem Schutz des Menschen. Er beschwefelt und bedampft sie gegen Parasiten, er baut Beuten an Stelle der fehlenden Baumhöhlen in den Nutzwäldern. Diese Fürsorge gilt leider nicht den vielen Schwestern der Apis. Bei uns sind ungefähr 560 Wildbienenarten heimisch, darunter die Hummel. Anders als die Honigbienen leben die meisten Wildbienen nicht in größeren sozialen Einheiten, sondern als Einzelgänger.

 

Ihr Pech: Sie produzieren keinen oder nur wenig Honig. Daher wissen wohl nur die wenigsten von ihrer Existenz. Dabei sind sie effiziente Bestäuber. Die Hummel erzielt beispielsweise größere Bestäubungsleistungen pro Individuum als die Honigbiene. Studien zeigen zudem, dass Obst- und Gemüsesorten, die von ihr bestäubt werden, besser schmecken und größer werden. Viele der Apis-Schwestern sind bedroht, 30 bis 35 Arten gelten bereits als ausgestorben. Der Grund: Es wächst kein Unkraut mehr. Über viele Millionen Jahre haben sich die Wildbienen in Koevolution mit den Wildblumen entwickelt. Manche sind auf eine einzige spezialisiert. Blüht die nicht mehr, fehlt auch die Biene. Genaue Zahlen über das Ausmaß des Wildbienen-Sterbens fehlen. Man kann aber einen weiter gefassten Indikator zur Veranschaulichung heranziehen: Die gesamte Biomasse von Insekten in landwirtschaftlich genutzten Räumen. Messungen aus Freilandfallen zeichnen hier ein niederschmetterndes Bild. Seit dem Jahr 1936 ist der Lebendfang um 98 Prozent zurückgegangen. Ja, Sie haben richtig gelesen: Insekten sind auf Kulturland nahezu vollständig ausgerottet. Die Dramatik ist zumindest in Fachkreisen seit langem bekannt. Dennoch wird die Industrialisierung der Landwirtschaft immer hemmungsloser betrieben. Lässt sich diese Entwicklung mit ein paar Blühstreifen umkehren? Manche Saatguthersteller empfehlen dies den Bauern als Mittel gegen Bürgerzorn. Dann nämlich, wenn ein weiteres Maisfeld zur Gasgewinnung bestellt wird. Doch selbst ein biologisch vorbildlich angelegter Randstreifen ist nur ein Restlebensraum. Die Daten legen nahe: Weder die heutigen Brach- und Naturschutzflächen, noch der Anteil der Biolandwirtschaft reichen aus, um das Artensterben zu beenden.

 

Ausstieg aus der konventionellen Landwirtschaft nötig

Unkraut vergeht eben doch. Was also tun? Die gute Nachricht: Alle nötigen Maßnahmen sind seit Langem erforscht. Wir können den Artenschwund beenden, wenn wir völlig aus der konventionellen Landwirtschaft aussteigen. Beispielsweise ist bekannt, dass Feldfrüchte wie Weizen 20 bis 30 Wildkräuter pro Quadratmeter gut vertragen. Wir können zusätzlich die Nutzung von sieben bis zehn Prozent der Fläche aufgeben und so die Schutzfläche verdreißigfachen. Wir können die Vergüllung gesetzlich begrenzen oder zumindest besteuern.

 

Deutschland hat sich völkerrechtlich zum Schutz der Biodiversität verpflichtet. Nehmen wir die Politik beim Wort. Am 24. September 2017 sind Wahlen. Auch Sie entscheiden! Rufen Sie Ihre(n) Abgeordnete(n) an, machen Sie Druck, damit Deutschland eine Umstellung der Agrarförderung auf verbindliche Umweltziele in der EU durchsetzt. Es wäre besser, wenn endlich auch hierzulande endlich wieder Unkraut wächst!

 

Bleiben Sie weiterhin engagiert, kritisch und genussfreudig,

Ihre Ursula Hudson

 

Diese Kolumne stammt aus dem Slow-Food Magazin und wurde am 31.5.2017 im Lifeguide veröffentlicht.

 

 

 

 

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