Mobilität

Flugreisen: Zwischen Reiselust und ökologischem Gewissen

Kompensieren ist gut, gar nicht fliegen ist besser
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Wenn der Himmel schon seit Wochen grau ist und Sonnenlicht nur noch eine vage Erinnerung, lösen selbst die simpelsten, plump gephotoshoppten Bilder bei mir einen Sehnsuchts-Flash aus. Türkisblaues Meer, hellblauer Himmel soweit das Auge reicht, weißer Strand… ? Egal. Ich will genau dorthin. Jetzt!

Am Ende des Winters bin ich am anfälligsten für irrationale Entscheidungen und für die Art von Reisen, die ich – aus ökologischer Sicht - unbedingt meiden sollte: Flugreisen. Denn ich weiß natürlich auch, dass Fliegen zu den Klimakillern schlechthin gehört. Am schlimmsten sind für mich Bilder von goldgelben Wanderwegen, die sich oberhalb einer Küstenlinie entlangschlängeln. Das ist meine ganz persönliche Achillesferse. Zeit also, sich von den bunten Trugbildern zu lösen und sich gründlich mit dem Fliegen auseinander zu setzen.


Klimaneutrales Fliegen gibt es nicht

Erste Erkenntnis und keine Überraschung: Klimaneutrales Fliegen gibt es nicht. Fliegen mit Kerosin schadet immer dem Klima und am besten wäre es, wir würden das Fliegen vermeiden. Zumal das Fliegen weltweit rasant zunimmt. Laut carbonmarketwatch produziert der weltweite Flugverkehr Tag für Tag allein 2,5 Millionen Tonnen C02, also 900 Millionen Tonnen jährlich. Das ist genauso viel CO2, wie die gesamte Bundesrepublik Deutschland in einem Jahr verursacht.

Am besten wäre es also, gar nicht mehr zu fliegen. Bei Strecken bis zu 1.000 Kilometern fällt mir die Entscheidung auch nicht schwer: Reisebus und Bahn schneiden klimatechnisch am besten ab, ich entscheide mich für die Bahn. Von Augsburg aus ist man in fünf Stunden in Paris – das hat unsere Familie sogar mit jüngeren Kindern gut bewältigt. Natürlich gibt es auch immer wieder mal Pannen! Erst kürzlich stand ich drei Stunden auf der neuen Strecke Berlin-München. Nachts. Bei Minustemperaturen. Aber erstens bin ich auch schon auf diversen Flughäfen gestrandet. Und zweitens überzeugen mich die Zahlen: Bei einer Hin- und Rückfahrt im ICE verursache ich auf der erwähnten Strecke Berlin-München 45 Kg CO₂. Die unten stehenden Tabellen wischen alle Zweifel beiseite:

Grafik: stromissimo , Stadtwerke Güstrow GmbH

Tabelle: Umweltbundesamt 28.4.2016

Fliegen mit Biossprit – keine gute Idee

Bahn ist also meine erste Wahl – selbst der PKW schneidet im Verhältnis zum Flieger noch ganz gut ab. Was aber, wenn mein goldgelber Wanderweg nur per Flug zu erreichen ist? Gibt es denn keinen Ersatzstoff für das klimaschädliche Kerosin? Bisher noch nicht. Es wird zwar viel experimentiert, so flog bereits 2009 ein Airbus der Finnair mit Speiseöl zum Klimagipfel nach New York und auch die Lufthansa, japanische, niederländische und andere Luftfahrtgesellschaften experimentieren mit Alternativen wie gebrauchtem Bratfett, Biosprit aus Leindotteröl, Algen, vergärtem Zucker oder mit dem Öl der Jatropha-Pflanze.
Aber ein Durchbruch wurde mit diesen sogenannten Agrotreibstoffen bisher noch nicht erreicht. Zumal in der Luft die gleichen Kritikpunkte gelten wie bei der Biosprit-Debatte am Boden: Es ist problematisch potentielle Lebensmittel als Treibstoff zu verwenden. Außerdem benötigt Biomasse-Treibstoff riesige Anbauflächen und der Konflikt um die Ressource Land würde sich verschärfen.
In dem NGO-Luftverkehrskonzept „Schritte zu einem zukunftsfähigen und umweltverträglichen Luftverkehr in Deutschland“, lehnen die acht verantwortlichen NGOs (u.a. Brot für die Welt, BUND, Robin Wood oder die Klima-Allianz Deutschland) die Nutzung von Biomasse im Luftverkehr in großem Umfang ab. Aus ökologischen, sozialen und menschenrechtlichen Gründen.

Wir dürfen nicht die Jahresproduktion von Biomasse, die einen Menschen ein Jahr lang ernährt, in wenigen Minuten verbrennen“, Monika Lege von RobinWood.

 

Fliegen mit Strom - Zukunftsmusik

Und wie steht es mit der Entwicklung von Elektroflugzeugen? Ein Hauptproblem sind die schweren und platzraubenden Batterien. Außerdem brauchen E-Flugzeuge  eine neue Infrastruktur am Boden. Aber immerhin überquerte Mitte 2015 ein zweisitziges Elektromodell den Ärmelkanal. Und Bertrand Piccard umrundete mit Hilfe von Sonnenenergie 2016 erstmals die Erde. Allerdings brauchte er für die 40.000 Kilometer ein Jahr und flog in 17 Etappen. Diese Technologien sind also noch Zukunftsmusik für den normalen Linienflugverkehr.


Wer freiwillig CO2 kompensiert, verbessert anderswo den Klimaschutz

Wer also jetzt oder in den nächsten Jahrzehnten fliegen möchte, dem bleibt nur die freiwillige Kompensation der eignen CO2-Emission. Mit Hilfe eines Klimarechners werden die Schadstoffe ermittelt, die ich mit meinem Flug verursache und es wird eine Summe genannt, die als Ausgleich gezahlt werden kann. Das Geld fließt, beispielsweise bei der gemeinnützigen Organisation atmosfair, in ein zertifiziertes Klimaschutzprojekt. Also in effiziente Brennholzkocher in Nigeria, in Grünen Strom in Bolivien, Kleinbiogasanlagen in Nepal oder Windkraft in Nicaragua. Jeder atmosfair-Spender kann sich ein Projekt aus den Bereichen Windkraft, Wasserkraft, Umweltbildung, Energieeffizienz, Biomasse oder Solarenergie aussuchen.


CO2 kompensieren: Was kostet das?

Bei einem Hin- und Rückflug München - Barcelona liegt der CO2-Ausstoß laut atmosfair beispielsweise bei 566 Kilo CO2 und wir können 14 Euro spenden. Für München - New York werden 3.856 KG CO2-Emissionen errechnet und die Spendenhöhe beträgt 89 Euro. Um den CO2-Ausstoß in ein Verhältnis zu setzen, zeigt atmosfair als Richtwert auch unseren „empfohlenen, maximalen Jahresausstoß“ an: Er liegt bei 2.300 Kilo CO2. Ein Jahr Autofahren im Mittelklassewagen verursacht bei einer Strecke von 12.000 Kilometern 2.000 kg CO2.


Klimaschutzprojekte: Auf RFI-Faktor und Gold-Standard achten

Es gibt derzeit mehrere gemeinnützige oder kommerzielle Anbieter für eine CO2-Kompensation. Utopia hat eine Liste der Anbieter mit einer kurzen Charakterisierung veröffentlicht. Einige von ihnen berücksichtigen beim Errechnen des CO2-Ausstoßes den sogenannten Radiative Forcing Index (RFI-Faktor), der neben CO2 auch die schädliche Wirkung von Stickoxid, Wasserdampf, Zirruswolken oder von Ruß- und Kondensstreifen berücksichtigt. Das führt meist zu einer etwas höheren Kompensations-Summe, bildet aber die Realität wesentlich besser ab. Auch auf einen weiteren Faktor sollte man bei der Spende von Klima-Kompensationen achten: Entsprechen die Projekte dem sogenannten CDM Gold-Standard? Das ist der strengste existierende Standard für Klimaschutzprojekte. Mehr dazu bei Germanwatch oder carbonconnect.


8,5 -14 Prozent der Privat-Fliegenden zahlen CO2-Kompensation

Wer sich die Mühe sparen will, kann auch bei einem klimafreundlichen Reiseveranstalter buchen, der die Schadstoff-Kompensation bereits in seinem Reisepreis berücksichtigt. Im Forum anders reisen haben sich über 100 Reiseveranstalter zusammengeschlossen, die nachhaltige Reisen anbieten. Auch atmosfair veröffentlicht eine Liste mit klimafreundlichen Reiseveranstaltern. Mittlerweile bieten auch viele Fluggesellschaften bereits beim Buchen per Klick die CO2-Kompensation an. Dies könnte allerdings noch etwas auffälliger platziert werden. Auch viele Unternehmen leisten für ihre Geschäftsflüge bereits Ausgleichszahlungen. 2014 waren es immerhin 80 Prozent in Deutschland, während die privaten „Kompensierer“ je nach Studie zwischen 8,5 und 14 Prozent ausgleichen.


Ist C02-Kompensation moderner Ablasshandel?

Aber ist die C02-Kompensation nicht einfach nur moderner Ablasshandel, mit dem wir uns „freikaufen“? Dem widersprechen die meisten Umweltorganisationen. Sie honorieren die Möglichkeit, dass wir die Umweltkosten für das Fliegen ermitteln und voll und ganz tragen können. Das Freiburger Ökoinstitut sieht Klimakompensation „als eine mögliche (nachgelagerte) Maßnahme für Unternehmen und für Bürger, sich aktiv am Klimaschutz zu beteiligen.“ Und Dietrich Brockhagen, Geschäftsführer von atmosfair sagt im taz-Interview zu dem Vorwurf, Ausgleichzahlungen seien doch nur „Peanuts“:

„Ja klar, absolut gesehen sind das Peanuts. Wenn Sie als Person im Jahr insgesamt neun Tonnen CO2 emittieren, wird man diese im Meer der globalen Klimatonnen nie registrieren, trotzdem sind Sie allein auf Ihren Flug für fünf Tonnen verantwortlich. Alles was ich tue ist Peanuts, wenn ich mich mit China vergleiche. Ihre Entscheidung ist aber eben nicht globalisiert, sondern Sie treffen sie individuell. Bezogen auf China sind das dann 0,0 Prozent, aber bezogen auf das, was Sie auf der Welt ändern können, sind es 100 Prozent.“

Und was heißt das jetzt für meinen goldgelben Wanderweg? Wenn es wirklich gar keine Alternativen gibt, lautet die Prämisse: Nie mehr fliegen ohne freiwillige C02-Kompensation. Ansonsten: Ab an die Ostsee!

 

Buchtipp: Frank Herrmann:  FAIRreisen Das Handbuch für alle, die umweltbewusst unterwegs sein wollen, oekom verlag, München 2016, ISBN-13: 978-3-86581-808-9, Printausgabe: 19.95 €, erhältlich auch als e-Book

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