E-Scooter in unseren Innenstädten

Über Nacht eroberten sie jeden Winkel Augsburgs: Die Rede ist von E-Scootern. Inzwischen sind die roten Flitzer des schwedischen Anbieters Voi kaum mehr aus dem Stadtbild wegzudenken und erfreuen sich enormer Popularität. Erst kürzlich gesellte sich mit den türkisenen Rollern die Berliner Konkurrenz von Tier hinzu.
Insgesamt fährt etwa eine Viertelmillion E-Scooter durch Deutschland. Tendenz stark steigend, denn immer mehr Städte wollen auf den fahrenden Zug der neuen Elektromobilität aufspringen. Schließlich sollen die Tretroller mit Elektroantrieb den Stadtverkehr nachhaltig revolutionieren und maßgeblich zur Verkehrswende in den Innenstädten beitragen. Kritiker*innen ist das E-Scooter-Chaos jedoch ein Dorn im Auge. Höchste Zeit für einen Faktencheck, wie viel Nachhaltigkeit tatsächlich in E-Scootern steckt.
E-Scooter: Was ist das und was kann es?
Das Prinzip der E-Scooter klingt so einfach wie modern: Per App erfolgt die Registrierung auf dem Smartphone. Die Freischaltung eines Elektrorollers kostet einen Euro, danach rollt man für 15 Cent die Minute durch die Straßen. Bezahlt wird entweder per Kreditkarte oder PayPal. In Augsburg waren die Roller ursprünglich nur innerhalb des Stadtkerns nutzbar, mittlerweile erstreckt sich das Gebiet bis zur Universität und erreicht somit auch Außenbezirke mit rarer gesäten Anschlüssen an den öffentlichen Nahverkehr. In der App lässt sich die exakte Begrenzung jederzeit einsehen. Die E-Scooter sind leise, wendig und bis zu 20 Kilometer die Stunde schnell, der wiederaufladbare Akku gilt als umweltfreundlich. So viel zur Theorie.
Viele der verwendeten Rohstoffe sind als kritisch einzustufen
Doch gerade der Lithium-Ionen-Akku dürfte das meiste Kopfzerbrechen bereiten: Er ist das Herzstück der E-Scooter und stößt bei der Fahrt aktiv zwar keinerlei Emissionen aus, doch er setzt sich aus problematischen Rohstoffen zusammen – Kobalt zum Beispiel. Kobalt ist ein Rohstoff, der nicht leicht zu gewinnen ist: Es befindet sich zwar in den meisten Böden auf der Welt, jedoch nur als Spurenelement in äußerst geringen Mengen. Der Löwenanteil des globalen Kobaltbedarfs wird durch die Demokratische Republik Kongo gedeckt. Hier in der Region Katanga lagert rund die Hälfte der weltweit bekannten Kobaltreserven unter der Erde. Der Kongo ist jedoch ein Krisenherd – Bürgerkrieg, Korruption und staatliche Willkür erschweren stabile wirtschaftliche Beziehungen zum Land. Hinzu kommen gefährliche Arbeitsbedingungen in illegalen Kleinbergwerken, die nicht selten Hand in Hand mit Kinderarbeit einhergehen. Schätzungen zufolge arbeiten in Katanga mindestens 22.000 Kinder im Kobaltabbau.
Ein weiterer kritischer Bestandteil des Akkus ist das namensgebende Lithium. Das größte Vorkommen befindet sich im sogenannten „Lithium- Dreieck“ zwischen Argentinien, Bolivien und Chile, welches mit seinen Wüstenformen eine einzigartige geographische Einheit bildet. Um das Leichtmetall zu gewinnen, muss zunächst das mineralhaltige Grundwasser in künstlich angelegte Becken gepumpt werden, wo die Salzlake verdunstet. Zurück bleibt das begehrte Lithium-Konzentrat. Dass dieser Vorgang sich negativ auf die ohnehin knapp bemessenen Wasserreserven der gesamten Region auswirkt, dürfte nicht überraschen. Der absinkende Grundwasserspiegel lässt Flussläufe austrocknen, Vegetation verdorren und bedroht so nicht nur Nistplätze heimischer Vögel, sondern ebenfalls die Lebensgrundlage der indigenen Bevölkerung. Kurzum: Fruchtbarer Boden verwandelt sich in Sand. Hinzu kommen chemische Belastungen für Gesundheit und Umwelt durch saure Abwässer aus dem großindustriellen Tagebau sowie Emissionen von kontaminierten Stäuben in der Luft. Aufgrund der steigenden Nachfrage soll die Lithiumproduktion dennoch bis 2025 vervierfacht werden.
Ein weiteres Sorgenkind ist in den Augen von Kritiker*innen das im Rahmen der Elektroroller enthaltene Aluminium. Zwar lassen sich weltweit zwei Drittel aller Aluminiumabfälle vollständig und – verglichen mit der Neuproduktion – durch minimalen Energieaufwand recyceln, bei der Neugewinnung verursacht das leichte Metall jedoch schwere Schäden: Denn um Bauxit, den Ausgangsstoff der Aluminiumproduktion, aus der Erdkruste zu gewinnen, ist die Rodung von Ur- und Regenwald in Ländern wie Australien, Brasilien oder Guinea notwendig. Außerdem enthält das bei der Herstellung entstehende Abfallprodukt Rotschlamm zahlreiche Schwermetalle wie Blei oder Quecksilber und kann nicht weiterverarbeitet werden. Auf eine Tonne Aluminium entfallen dabei bis zu vier Tonnen Rotschlamm – eine denkbar ungünstige Bilanz.
Die Lebensdauer der E-Scooter ist ein ausschlaggebendes Argument
Eine tragende Rolle spielt auch die relativ kurze Lebensdauer der E-Scooter: Da Leihmodelle grundsätzlich mehr Abnutzungserscheinungen erleiden als private Roller im Haushaltsgebrauch, ist die Lebensdauer zusätzlich verkürzt. Die Informationen diesbezüglich variieren stark: Während die Verleihunternehmen eine Nutzungsdauer von bis zu einem Jahr angeben, schwankt inoffiziellen Studien zufolge die Lebensspanne der Roller zwischen ein bis drei Monaten. Das Umweltbundesamt hingegen verweist auf Zahlen aus Kentucky, Louisville, die eine durchschnittliche Nutzungsdauer von 28 bis 32 Tagen angeben. Die dürftige Lebensdauer der Roller liegt unter anderem an der Bauweise. Bisher wurden fest verbaute Akkus verwendet – setzt dieser aus, wandert der gesamte Roller bestenfalls auf den Wertstoffhof.
Zukünftig sollen ausgemusterte E-Scooter nach und nach durch Modelle mit austauschbaren Akkus ersetzt werden, heißt es seitens des Berliner Unternehmens Tier, welches es sich zum Vorhaben für 2020 macht, “eine völlig klimaneutrale Geschäftsstruktur vorzuweisen”. Alle internen und externen Abläufe sowie die Fahrten sollen klimafreundlich von statten gehen. Dies wäre nicht nur im Sinne des Wieder- und Weiterverwendungsgedanken begrüßenswert, durch das Wegfallen der Transportwege beim „Juicen“ können ebenfalls zahlreiche Emissionen eingespart werden. Da insbesondere die Produktion der E-Scooter sehr energieintensiv ist und deren größte Umweltbelastung darstellt, ist eine möglichst lange Benutzung ein wichtiger Aspekt zur Gesamtbewertung ihrer Nachhaltigkeit.
Eine in der Zeitschrift Environmental Research Letters erschienene Untersuchung schlüsselt den CO2-Ausstoß von E-Scootern auf. Demnach betragen die Produktion sowie das Juicen der Roller je etwa die Hälfte der Gesamtemissionen. Dabei können E-Scooter – falls überhaupt – nur dann als umweltfreundlich bezeichnet werden, sobald diese keine zusätzlichen Wege mit benzin- oder dieselbetriebenen Fahrzeugen generieren als sie bei ihrer Nutzung einsparen.
Warum das Wiederaufladen der E-Roller ein Problem darstellt
Weiterhin ist unklar, wie viele PKW-Kilometer beim sogenannten „Juicen“– dem Aufladen der Roller – entstehen. Dazu werden E-Scooter mit leerem Akku nachts mit Kleintransportern eingesammelt und zu Ladestationen transportiert bzw. an die heimische Steckdose gehängt, ehe sie ab den frühen Morgenstunden wieder zur Verfügung stehen. Dass die PKWs mit herkömmlichen Treibstoffen betrieben werden, davon ist auszugehen. Des Weiteren kommt es wie bei Elektroautos darauf an, mit welchem Strom die E-Scooter geladen werden. Ein mit Atom- oder Kohlestrom betriebener Roller trägt nicht zu einer positiven Ökobilanz bei und legt man die Zusammensetzung des deutschen Strommixes zugrunde, dürften die Roller in den wenigsten Fällen mit Ökostrom geladen werden. Voi gibt auf Anfrage keine Antwort hierzu. Inwiefern das Juicen mit dem Nachhaltigkeitsgedanken von E-Scootern zu vereinbaren ist, bleibt also fraglich.
Der Versuch einer Umweltbilanz
In einigen Medien wurden sie als alternatives Fortbewegungsmittel der Zukunft angepriesen und schürten enorme Hoffnung der Bevölkerung, in den Städten und in der Politik: Die Roller sind in ihrer Umweltbilanz jedoch nach wie vor umstritten, langfristige Studien hierzu fehlen bis dato allerdings. Ob das Konzept hinter E-Scootern tatsächlich als nachhaltig und zukunftsträchtig angesehen werden können, kommt auf mehrere ineinander greifende Faktoren an. Die Rollerfahrt per se ist selbstverständlich frei von Schadstoffausstößen – bei einem akkubetriebenen Gerät ist dies nicht weiter verwunderlich. Aufgrund dieser Tatsache werden die E-Scooter als besonders umweltschonend beworben. Auf der Internetseite des Anbieters Voi wird über die Vision einer „Stadt ohne Verschmutzung und Verkehrsstau“ philosophiert, auch Tier propagiert den Nutzer*innen eine „nachhaltige, zugängliche und erschwingliche Mobilität“. Da insbesondere die Produktion und die Logistik zum Aufladen der Roller den größten Umwelteinfluss ausüben.
Sowohl Voi als auch Tier werben damit, dass ein Teil des motorisierten Verkehrs in den Innenstädten mithilfe von E-Scootern reduziert wird. Den beiden Anbietern zufolge dürfen Autos, Motorräder und Roller getrost zuhause gelassen werden, stattdessen soll auf Elektroroller zurückgegriffen werden. In der Realität zeigt sich hier ein anderes Bild: Die Nutzung der Scooter erfolgt tendenziell auf kurzen Strecken von bis zu einem Kilometer, wobei sich diese in der Fachliteratur sogenannte „letzte Meile“ [zum Anschluss an den Nahverkehr] in der Regel problemlos zu Fuß zurücklegen lässt. Abgelöst werden konventionelle Fahrzeuge mit entsprechenden Schadstoffemissionen dadurch nicht. Nun aber vollkommen fatalistisch zu denken und doch wieder ins Auto zu steigen, wäre ebenso eine falsche Herangehensweise. Die E-Scooter verfolgen nämlich ein richtiges wie wichtiges Ziel, die Innenstädte umweltfreundlicher zu gestalten. Die Bereitstellung der Roller ohne zukunftstauglicher Rahmenbedingungen reiche jedoch nicht aus, um von nachhaltiger Fortbewegung sprechen zu können. Hier ist Raum für Optimierungen vorhanden.
Denn in die Nachhaltigkeitsversprechen der Anbieter fließen weder die Produktion mit ihren vielschichtig verwebten Auswirkungen auf die Umwelt noch die Logistik, die es zum Aufladen der Roller braucht, ein. Das Unternehmen Tier macht mit seinen auswechselbaren Akkus einen ersten großen Schritt in die richtige Richtung. Wie salonfähig dieses Modell ist, das wird sich in nächster Zeit herauskristallisieren. Außerdem ist die Bevölkerung gefragt: Die Roller müssen sich fest im Stadtbild etablieren und pfleglich behandelt werden, damit diese nicht früh verschrottet werden müssen und somit noch mehr Müll produziert wird. Vielmehr sollten E-Scooter als eine willkommene Ergänzung zum Straßenverkehr angesehen werden. Schließlich sind die Roller erst dann eine sinnvolle Ergänzung für den Verkehr, wenn sie Auto und Co. ersetzen. Aktuell verursachen sie in der Herstellung enorme Mengen CO2 und reduzieren nicht nur aufgrund der Kosten den Autoverkehr nicht: Für eine Stunde Roller- Spaß zahlt man rund zehn Euro.