Ute Scheub: Teilen macht glücklich

Macht es glücklich, eine Frau zu treffen, die ein Buch über Glück geschrieben hat? Großes Fragezeichen – solche Bücher gibt es ja zu Hauf. Macht es glücklich, Ute Scheub im Biergarten des Grandhotel Cosmopolis in Augsburg zu treffen, nachdem sie eine lange Fahrt aus Berlin hinter sich hat und müde, durstig und vielleicht auch ein bisschen wortkarg sein könnte? Definitiv ja!
Denn Ute Scheub ist begeistert von ihrem Zimmer im Grandhotel Cosmopolis, sie setzt sich entspannt zu ein paar jungen Männern auf die Bierbank, braucht nichts zu essen oder zu trinken, sie ist auskunftsfreudig und bestens gelaunt. Ihre Lachquote ist ungewöhnlich hoch. Die Journalistin, die die taz in Berlin mitgegründet hat, ist seit einigen Jahren auf Geschichten des Gelingens spezialisiert. Sie glaubt, dass Teilen glücklich macht und hat darüber zusammen mit Annette Jensen das Buch „Glücksökonomie – Wer teilt, hat mehr vom Leben“ geschrieben. Nach Augsburg ist sie gekommen, um bei der Augsburger Zukunftstagung den Impulsvortrag "Weniger ist mehr - vom Glück des Genug" zu halten.
"Was uns wirklich glücklich macht, ist ja gratis. Also Liebe, Freundschaft, Beziehung, Bindung, Gemeinsamkeit … alles gratis! Und weil es gratis, gilt es nichts und ist nichts wert und wird von der herrschenden Ökonomie völlig verdrängt."
Warum macht Teilen Menschen glücklich?
Ute Scheub: Wir sind ja in der afrikanischen Steppe entstanden und mussten uns kooperativ verhalten. Und dieses kooperative Verhalten wird durch Glückshormone belohnt, die dann in unser Hirn rieseln. Wir sind eigentlich schon ewige Zeiten Homo Cooperativus. Wir haben das in der heutigen Zeit nur verlernt, wo uns alle predigen, wir wären der Homo Oeconomicus, der nur auf seinen eigenen Vorteil schielt, der in Konkurrenzkampf geht zu allen anderen im Kampf um das Dasein. Deshalb haben wir verlernt, dass das Teilen, dass etwas gemeinsam tun, etwas gemeinsam nutzen, uns glücklich macht. Das ist ein uraltes Rezept aus der Steinzeit.
Du sagst – zugespitzt: Nichts macht glücklicher, als für die Nachhaltigkeit zu arbeiten. Warum?
Sinnvolle Tätigkeiten für andere lassen unsere eigenen Glückshormone regnen. Nachhaltigkeit, das ist etwas für die kommenden Generationen, das ist einfach etwas, was uns als natürlichen Wesen am Herzen liegt. Manche empfinden das nicht mehr so, aber meiner Ansicht nach sind sie dann vollkommen entfremdet von sich selbst. Man weiß von Menschen, die ökologische Lösungen finden, oder die zum Beispiel miteinander ein Grandhotel Cosmopolis aufbauen, dass sie echt zufrieden sind. Denn sie haben das Gefühl, sie haben nicht nur eine drängende Aufgabe gelöst, sondern auch positive Spuren hinterlassen.
Was soll Deiner Meinung nach geteilt werden?
Ganz viel kann man teilen, eigentlich kann man alles teilen (lacht). Es gibt auch ganz viele Dinge, die mehr werden, wenn man sie teilt – das Glück auf jeden Fall und die Freude und das Wissen. Die Software-Industrie weiß das ja auch, durch die Pioniere, die festgestellt haben, wenn sie gemeinsam eine Software wie Linux herstellen, dann wird sie besser. Die Wissenschaft kommt auch auf diesen Trichter – wenn auch langsam. Von daher: Alles, was geteilt wird, wird besser.
Was hat sich in Deinem Leben geändert, als Du an dem Buch „Glücksökonomie“ gearbeitet hast?
Ich habe einen anderen Blick bekommen, auf kleine Initiativen, die schnell übersehen werden. Oder erkannt, dass die Ökonomie insgesamt völlig falsch bewertet wird. Ihr wird viel zu viel Bedeutung beigemessen. Es ist erwiesen, dass durch Wirtschaftswachstum entstandene Ungleichheit ein Schadstoff ist, der die gesamte Gesellschaft durchdringt. Mit der erstaunlichen Folge, dass nicht nur die Armen unglücklich werden, sondern auch die Reichen – auch sie werden misstrauischer, kränker, depressiver, einsamer.
Was uns wirklich glücklich macht, ist ja gratis. Also Liebe, Freundschaft, Beziehung, Bindung, Gemeinsamkeit … alles gratis! Und der blaue Himmel und der Frühling und die Sonne … alles gratis (lacht). Und weil es gratis, gilt es nichts und ist nichts wert und wird von der herrschenden Ökonomie völlig verdrängt.
Im Grunde genommen ist das wie ein riesiger Eisberg. Der unsichtbare größere Teil ist die Art von Ökonomie, die eben nicht monetär ist: das ist Care, sich um andere sorgen, liebevoll miteinander sein. Und das macht eigentlich unseren Alltag aus. Das macht uns auch im Alltag zufrieden, wenn wir das nicht haben, dann Halleluja.
Das habe ich einfach im Laufe der Recherche für das Buch viel genauer gesehen, das war wie eine grüne Brille, die man dann aufsetzt. Auf einmal sieht man so viele Lösungen, wie Relokalisierung der Wirtschaft, Gemeinwohlökonomie, Open Source Ecology, also kleinteilige, modulare, fehlerfreundliche Technik, die die Menschen und Communities unabhängiger von Konzernen macht. Oder regenerative Landwirtschaft, oder Peer-to-Peer-Netze, die wandelbar, beweglich und selbstbestimmt agieren. Schwarmintelligenz ist fähiger, wendiger und kreativer als die schlauesten Einzelnen. Oder auch die Umverteilung von Geld, Status und Ansehen macht zufriedener: Menschen in vergleichsweise egalitären Gesellschaften geht es eindeutig besser. Sie sind gesünder, weniger depressiv, vertrauensvoller. Deshalb sage ich: Greift die alte Wirtschaftsordnung nicht an, sondern wandert fröhlich in sie hinein. Gründet beispielsweise egalitäre Dorfgemeinschaften oder Genossenschaften. Ändert nicht euer Leben, sondern lebt Euer Ändern.
Welches Thema beschäftigt Dich im Moment besonders?
Wie kriegen wir das hin, dass wir besser auf dieser Welt leben? Das beschäftigt mich nicht nur im Moment, sondern ganz grundsätzlich. Ich habe jetzt ein Buch geschrieben zur Humusrevolution. Das ist der Versuch, auch in Bezug auf die Landwirtschaft konstruktiv aufzuzeigen: Wir haben eigentlich alle Lösungen. Mit Humusaufbau und verschiedenen alten und neuen ökologischen Methoden könnten wir die Welt so regenerieren, dass wir binnen weniger Jahrzehnte die Klimakrise rückgängig machen können. Und die Hungerkrise. Und auch die Wasserkrise.
Also die Lösungen sind alle da. Der Goliath, der da dem David im Wege steht, sorgt natürlich dafür, dass die Ziele sehr schwer zu erreichen sind – also die Agroindustrie und Konzerne, wie Monsanto. Aber im Prinzip haben wir alle Möglichkeiten. Wir müssen einfach die Kleinbäuerinnen und Kleinbauern dieser Welt unterstützen, weil sie zu 70 Prozent die Welt ernähren. Die Politik müsste einfach andere Rahmenbedingungen schaffen und wir würden eine völlig andere Landwirtschaft haben. Eine Landwirtschaft, die gleichzeitig die Natur regeneriert und die viel mehr Lebensraum lässt für andere Lebewesen.
Du sagst: „Kommunikation verändert sich, wenn man Glück und die Perspektive der anderen als elementar für das eigenen Wohlbefinden ansieht“. Warum ist es so wichtig, das Glück der Anderen im Auge zu behalten?
Ich glaube einfach, dass wir Menschen dazu tendieren, uns zu verströmen. Und wenn wir immer nur gucken, wie kann ich glücklich werden, ich muss jetzt irgendwie noch besser werden und noch besser … Dann wird man unglücklich. Dann ist man in der Falle der Selbst-Optimierung. Und wenn man gar nicht daran denkt, sondern einfach positive Energie verströmt, wenn man anderen hilft oder etwas Tolles auf die Beine stellt, dann wird man automatisch glücklich. Weil, wie gesagt, wir sind Strömungswesen. Wir sind ja keine festen Identitäten – das ist ja immer der Denkfehler, zu glauben, wir sind etwas ganz Festes. Aber ich bin ja nur, weil Du bist. Die Sprache entwickelt sich gemeinsam, das Denken entwickelt sich gemeinsam. Und wenn wir das nicht anerkennen, dann werden wir einsam, depressiv, traurig. Wenn wir das aber anerkennen und leben, dann werden wir glücklich.
Was rätst du den Menschen in Augsburg – was sollen sie tun, damit sie glücklich werden?
Ich glaube, das wissen die Leute schon ziemlich gut selber. Weil ich glaube, wir haben alles in uns. Das Wichtige ist, auf die eigene Intuition zu horchen. Wir wissen alle ganz genau, was uns gut tut – wenn wir es nicht verdrängen.
Was wünschst Du Dir von der Politik?
Bisher werden ökosoziale Betriebe, die umweltfreundlich produzieren und ihre Mitarbeiter fair bezahlen, auf dem Markt bestraft, weil ihre Produkte teurer sind. Wenn die Politik das mit Regelwerken korrigieren würde – das wäre schon ein großer Fortschritt.
Wenn die Politik ein Regelwerk schaffen könnte, dass wahre Preise herrschen, das wäre schon sehr viel. Ich glaube, das würde den vielen tollen, neuen Ideen und ökologischen Initiativen enorm helfen. Ich glaube nicht, dass es einer Politik bedarf, die die großen Visionen ausruft – das geht oft schief. Es ist viel wichtiger, ein Regelwerk zu schaffen, für das, was wirklich zukunftsfähig ist – und die Leute vor Ort zu ermächtigen und zu ermutigen und sie einfach selber machen zu lassen – da finden sich die besten Lösungen schon. Es gibt ja dafür so viele gute Beispiele, wie Bürgerräte, die zufällig ausgewählt wurden, um sich Probleme vorzunehmen - auch Nachhaltigkeitsprobleme. Und die kommen zu Superergebnissen, viel besser als Politiker es können. Wenn man Vielstimmigkeit zulässt – Junge und Alte und Frauen und Männer und Alt-Deutsche und Neu-Deutsche, dann werden die Ergebnisse super.
Was würdest tun, wenn Du Bürgermeisterin von Berlin wärst?
Ich würde den Posten der Bürgermeisterei sehr relativ begreifen. Ich würde Bürgerräte einsetzen – zufällig ausgeloste Leute, die Stellungnahmen zu bestimmten Problemen erarbeiten. Also eine direkte Demokratie praktizieren, die sehr inklusiv ist und die Leute einlädt. Ich glaube, dass damit schon die Hälfte der Aggression erledigt ist. Das glaube ich ganz ernsthaft.
Was macht Dich persönlich glücklich?
In der Sonne sitzen und Cappuccino trinken und aufs Meer gucken. Zum Beispiel (lacht). Der Frühling macht mich glücklich … und gelingende Projekte zu portraitieren und dabei Menschen kennenzulernen, das macht mich glücklich. Das hat so viel Spaß gemacht und gute Laune, das Glücksökonomie-Buch zu recherchieren.
Das ist das Tolle an unserem Beruf, oder?
Ja! (lacht)
Das ist auch das Schöne an der Arbeit für den Lifeguide. In Augsburg gibt es ja viele junge Initiativen, die neue Wege ausprobieren. Sie zu portraitieren macht Spaß und inspiriert. Wie ist das in Berlin?
Es gibt, vor allem in Kreuzberg und Prenzlberg, so eine Art Weltbürgertum, junge Leute, die mehrere Sprachen sprechen, kosmopolitisch sind bis dorthinaus und die keine Lust haben auf den normalen Kapitalismus und auf den normalen Wahnsinn. Das ist eine bestimmte Generation, aber es ist natürlich eine klare Minderheit. Sie möchten völlig andere Dinge tun und sind gleichzeitig völlig undogmatisch – und dabei sehr kreativ. Sie machen einfach. Früher wurde immer so viel diskutiert. Die jungen Leute sind darin teilweise viel pragmatischer und viel anpackender. Das finde ich toll.
In Deiner E-Mail-Signatur steht: „Freie Journalistin und Autorin, Geburtshelferin für ökosoziale Projekte und Geschichten des Gelingens“. Interessante Berufsbezeichnung…
… ich habe ja die taz mitgegründet und da viele viele Jahre mit in der Redaktion gesessen. Ich bereue das auch überhaupt nicht, aber was ich schon gemerkt habe, dass mich diese vielen, vielen schlechten Nachrichten fertig gemacht haben. Das hat sich wie Feinstaub auf meine Seele gelegt. Und jeden Tag musste ich dann irgendwelche schlechten Nachrichten schreiben oder recherchieren. Und das tut nicht gut. Das tut Menschen nicht gut, grundsätzlich. Und ich habe deshalb irgendwann gesagt: Ich will mich jetzt auf konstruktiven Journalismus kaprizieren. Weil diese Flut an schlechten Nachrichten auch nicht die Realität widerspiegeln – das kommt ja noch dazu. Medien haben einen Hang zum Negativen – sie berichten ja immer über Gewalt, Sprengstoffexplosionen hier und da und dort und über Unfälle und Unglück und, und, und. Und das, was im alltäglichen Leben gelingt, das kommt unheimlich wenig vor. Gerade die sensiblen Menschen sagen, dass sie die Medien teilweise nicht mehr nutzen, weil sie das nicht mehr ertragen.
Wann hast Du Dich für den gelingenden Journalismus entschieden?
Das war so ein schleichender Prozess. Es fing damit an, dass ich mit Anette Jensen, mit der ich ja auch das Buch über Glücksökonomie geschrieben habe, mehrere taz-Ausgaben produziert habe, die ausschließlich Geschichten des Gelingens gebracht haben. Wo wir auch die Auslandskorrespondenten der taz um entsprechende Geschichten gebeten haben. Das war so um 2009. Und diese Ausgaben sind sehr gut angekommen – die eine ist die bestverkaufte Ausgabe des Jahres geworden. Weil die Leute Sehnsucht nach so etwas haben. Und dann habe ich gemerkt: Ich befriedige damit nicht nur das Bedürfnis der Menschen, sondern auch mein eigenes Bedürfnis. Und seitdem habe ich das immer mehr gemacht. Gegen den Widerstand von ganz Vielen, die kritischen Journalismus fordern. Die sagen: Man darf nie aufhören mit der Kritik. Das ist lebensfeindlich.
Wann hast Du zuletzt etwas Neues ausprobiert?
Ich bin jetzt seit Neuestem im Chor und das ergreift mich (lacht). Das ist jetzt nichts Neues in dem Sinn. Singen ist älter als das Sprechen, das ist eines der ältesten sozialen Instrumente der Menschheit – aber es wirkt immer noch. Ich sitze gerade an einem Essay, wo ich versuche, die Demokratie als musikalische Aufführung zu schildern. Also bei der Wahldemokratie gibt es kaum Resonanz zwischen Regierenden und Regierten. Aber direkte Demokratie, oder konsultative Demokratie, also durch Losverfahren gewählte Bürgerräte – das hat ganz viel mit Schwingungen und Resonanz zu tun. Also mit ganz uralten menschlichen Bedürfnissen. Das ist sehr spannend.
Das letzte Wort?
Ich versuche immer, strategisch optimistisch zu sein. Wir sollten uns immer so verhalten, als würden wir gewinnen. 5% Entschlossene genügen, um eine Gesellschaft in eine andere Richtung zu lenken. Überall, in jedem Land, jeder Stadt, jeder Kommune.
INFO: Ute Scheub (Jahrgang 1955) ist promovierte Politikwissenschaftlerin, Mitbegründerin der taz und Publizistin in Berlin. Sie schreibt am liebsten Geschichten des Gelingens über ökosoziale Pioniere und hat ein gutes Dutzend Bücher veröffentlicht, zuletzt „Die Humusrevolution– Wie wir den Boden heilen, das Klima retten und die Ernährungswende voranbringen“. Sie erhielt mehrere Auszeichnungen, für ihre dreisprachige Website www.visionews.net mit guten Nachrichten aus den Bereichen Frieden, Frauen und Nachhaltigkeit bekam sie den Alternativen Medienpreis.
Die Bücher, die im Interview erwähnt werden:
Glücksökonomie. Wer teilt, hat mehr vom Leben. Annette Jensen und Ute Scheub, oekom verlag München, 2014, ISBN-13: 9783865816610
Die Humusrevolution. Wie wir den Boden heilen, das Klima retten und die Ernährungswende schaffen. Ute Scheub und Stefan Schwarzer, oekom verlag München, 2017, ISBN-13: 978-3-86581-838-6