Das gute Leben für alle
"Ich bin tatsächlich stolz darauf, als Frau in der Augsburger Medienlandschaft zu zeigen, dass man mit Qualität, Herzblut und viel Ehrlichkeit erfolgreich sein kann. Mich berührt aber auch, wie wir als tolles Team an einem Strang ziehen."
Uta Börger
Die Gemeinwohlökonomie steht für eine ethische Marktwirtschaft. Die Wirtschaftsordnung des Österreichers Christian Felber berücksichtigt dabei Werte wie Menschenwürde, Gerechtigkeit, Solidarität, Nachhaltigkeit oder Demokratie. Ziel ist die Balance zwischen Menschlichkeit und Wirtschaftlichkeit.
Uta Börger lebt seit 20 Jahren in Augsburg und produziert in ihrem Verlag unter anderem das Familienmagazin liesLotte für Augsburg, Schwaben und Allgäu sowie das nachhaltige Stadtmagazin Purpur für die Region Augsburg. Das Unternehmen der Verlegerin, Grafikerin, PR-Referentin und Journalistin ist seit Juli 2020 gemeinwohlbilanziert: Sie hat sich zusammen mit sieben weiteren Unternehmen aus der Region Augsburg im Mai 2019 auf den Weg gemacht, um ihren Betrieb gerechter, solidarischer und nachhaltiger aufzustellen. Heute sagt sie: "Ich bin überzeugt, dass modernes werteorientiertes Leadership die Weichen für Freiraum, Schöpferkraft, Innovation, und damit auch gesellschaftlichen Erfolg einer Firma stellt."
Angelina Blon gehört seit 2009 zum Team liesLotte und ist seit 2018 Chefredakteurin der Purpur. Die Diplom-Geographin und Journalistin beschäftigt sich seit ihrem Studium mit dem Thema Nachhaltigkeit und hat den Prozess der Gemeinwohlbilanzierung begeistert mitgestaltet.
Interview mit Verlegerin Uta Börger und Chefredakteurin Angelina Blon
Uta, warum liebst du, was du tust?
Uta Börger: Ich liebe es, neue Projekte umzusetzen, kreativ zu sein, für die Umsetzung dieser Ideen zu powern und mein Umfeld mit zu begeistern. Dies mag manchmal herausfordernd sein, bringt mir andererseits aber auch eine große Freiheit, diese in meinem eigenen Unternehmen umzusetzen. Dazu kommt, dass ich mit meiner Arbeit eine hohe Wirksamkeit erziele und sehe, dass ich für die Menschen und die Region etwas bewegen kann.
Euer Betrieb ist gemeinwohlbilanziert. Was bedeutet das?
Angelina Blon:
Wir legen in unserem Verlag Wert auf ein Wirtschaftssystem, bei dem ein gutes Leben für alle – Menschen, Tiere, Pflanzen, unser Planet Erde mit seinen Ressourcen, hier und anderswo, jetzt und in Zukunft – im Mittelpunkt steht. Die Gemeinwohlökonomie schafft die Basis für diese ethische Marktwirtschaft, die für mich eine Balance zwischen Menschlichkeit und Wirtschaftlichkeit kreiert. Der Österreicher Christian Felber hat mit der Gemeinwohl-Ökonomie eine Wirtschaftsordnung entwickelt, in der Werte wie Menschenwürde, Gerechtigkeit, Solidarität, Nachhaltigkeit oder Demokratie berücksichtigt und „bilanziert“ werden können.
Was hat euch dazu veranlasst, einen Gemeinwohlbericht zu schreiben?
Uta Börger: In unserem Verlag und unserem Team leben wir schon von Anfang an einen besonderen Spirit. Dieser basiert auf einer werteorientierten und sinnstiftenden Unternehmenskultur, die wir im Laufe der elf Verlagsjahre gestaltet haben. Werte sind dabei die Basis für mein Denken und Handeln als Unternehmerin.
Der GWÖ-Bericht war die logische Folge dieser inneren Haltung, denn die Idee der Gemeinwohlökonomie spiegelt diese persönlichen Werteüberzeugungen sehr stark wieder.
Wie viel Zeit muss ein Unternehmen für einen GWÖ-Bericht einplanen?
Angelina Blon: Der Prozess dauert insgesamt etwa ein Jahr. Wir haben ca. 340 Stunden in unseren GWÖ-Bericht investiert.
Wie funktioniert das in der Praxis? In eurem Betrieb?
Angelina Blon: Wir haben uns ein Mal im Monat in der Peergroup zu einem Workshop getroffen. Sie fanden unter dem Dach der Gemeinwohlökonomie GWÖ statt und wurden dabei permanent von einem Auditor begleitet.
In unserem Verlag haben wir in einem Kleinteam sowie unter Einbeziehung aller diese Workshops vor- und nachbereitet, Fakten zusammen getragen, den Bericht formuliert.
So nahmen wir im Laufe eines Jahres 20 Themen unter die Lupe, die das Gelingen unserer Beziehungen zu Mitarbeiter*innen, Kund*innen, Lieferant*innen, Geldgeber*innen sowie das gesellschaftliche Umfeld bewerteten. Kriterien waren hierbei unter anderem Aspekte der Menschenwürde, der Solidarität und Gerechtigkeit, der ökologischen Nachhaltigkeit sowie der Transparenz und Mitentscheidung.
Könnt ihr ein konkretes Beispiel nennen?
Uta Börger: Wir verfolgen bereits seit Gründung vor elf Jahren eine ethische Verkaufspolitik. Wir grenzen uns strikt von der Drückermentalität, die in der Branche durchaus üblich ist, ab. Unseren Verkäufer*innen ist es nicht erlaubt, Kund*innen zu Abschlüssen zu nötigen.
"Wir setzen auf eine ehrliche und kundenorientierte Beratung, denn Ehrlichkeit ist einer unserer höchsten Firmenwerte."
Uta Börger
Dabei steht immer der Wunsch, die Marketingstrategie sowie der Nutzen des Kunden bzw. der Kundin an erster Stelle. Unsere Preisgestaltung ist ebenfalls von Anfang an wertebasiert gestaltet. Rabatte und Dumpingpreise gibt es bei uns nicht. Unsere Preise sind fair kalkuliert. Zudem unterstützen wir Kleinstunternehmen mit verschiedenen Maßnahmen.
Wie ist es euch ergangen, in dem Jahr, in dem ihr euch intensiv mit deinem Unternehmen auseinandergesetzt hast?
Uta Börger: Obwohl ich persönlich lieber kreativ arbeite und Berichteschreiben eher lästig finde (lacht), hat mich die Arbeit am Bericht wirklich immer wieder fasziniert.
"Vieles haben wir intuitiv schon auf einen guten Weg gebracht. Dies zu sehen und zu erkennen, hat uns positiv überrascht."
Uta Börger
Nun sind wir einen weiteren Step gegangen und haben Themen noch einmal intensiv und in großer Klarheit durchdacht, dokumentiert und festgehalten. So wurden aus intuitivem Handeln Standards und Leitlinien.
Uta, hat die GWÖ-Zertifizierung deine eigenen Werte bezüglich der Unternehmensführung bestärkt?
Uta Börger: Auf jeden Fall! Ich war mir schon immer recht klar über meine persönlichen Werte, jetzt wurden sie noch einmal geschärft. Sich dieser bewusst zu sein, unterstützt in allen unternehmerischen Feldern, die eigenen Entscheidungen zu finden und zu be-gründ-en. Sie sind die Basis für alles.
Hat sich in eurem Betrieb etwas verändert, während ihr die GWÖ-Bilanzierung durchgeführt habt?
Angelina Blon: Wir haben durch den Bericht viele Themen angestoßen, die wir verbessern möchten und teilweise jetzt schon umgesetzt haben. Durch die Berichtsrubrik "Löhne" haben wir uns beispielsweise intensiv damit auseinander gesetzt. Hier entstand der Wunsch, die Löhne gerechter zu gestalten. Wir haben zum 1. Januar 2020 eine Gehaltsmatrix eingeführt. Dieses New-Pay-Vergütungsmodell ist nun die konsequente Weiterführung unserer modernen, offenen und fairen Unternehmenskultur – nun eben auch auf finanzieller Ebene. Wir heben damit unsere Firmenwerte auf eine neue Ebene.
Wie habt ihr das New-Pay-Vergütungsmodell erarbeitet?
Uta Börger: In einem gemeinsamen Workshop war das gesamte Team beteiligt.
Wir erarbeiteten ein Grundgehalt, das für alle gleich ist. Dazu kommen Zulagen für verschiedene Faktoren wie Anzahl der Kinder, Übernahme von Verantwortung und vieles mehr. Uns war wichtig, dass alle Mitarbeiter*innen diese neue Vergütung fair und gerecht empfinden."
Uta Börger
Mir als Unternehmerin war die Transparenz und Klarheit der Lohngestaltung daran sehr wichtig. Das Modell hat sich bisher gut bewährt, es gibt aber auch schon Ideen für weitere Verbesserungen und Anpassungen, die wir in einem neuen Workshop Ende des Jahres besprechen werden.
Als Besucherin habe ich das Arbeitsklima bei euch auch schon vor der Gemeinwohlbilanzierung als entspannt und partnerschaftlich erlebt. Hat sich durch den Prozess der Zertifizierung beim Betriebsklima noch etwas verändert?
Angelina Blon: Das Team ist durch die gemeinsame Berichtsarbeit mehr zusammen gewachsen. Wir haben mal richtig ins Uhrwerk hinein geschaut, uns mit dem Innenleben, den Strukturen, den Rädchen im Getriebe befasst und konnten dadurch neue Zusammenhänge erkennen.
"Der Prozess der GWÖ-Zertifizierung schaffte noch mehr Identifikation mit dem Arbeitsplatz und zeigte die Sinnhaftigkeit unseres Tuns auf."
Angelina Blon
Zudem erweiterte sich mit der Beschäftigung mit den Werten auch die Wert-schätzung für diesen Arbeitsplatz bei liesLotte. Dass es neben der üblichen Gehaltszahlung noch andere ansprechende Rahmenbedingungen wie flexibles dynamisches Arbeiten, die Freiheit und die Partizipationsmöglichkeiten gibt, ist wieder stärker ins Bewusstsein gelangt.
Ihr habt schon vor Jahren euren ersten CSR-Bericht mit dem Titel „Wertschöpfend arbeiten geht (gut)!“ herausgegeben, der sich mit der sozialen und ökologischen Verantwortung beschäftigt. War die GWÖ-Bilanzierung für Euch die logische Konsequenz?
Uta Börger: Ja, wir wollten uns nicht auf dem ausruhen, was wir bereits geschafft haben, sondern noch mehr für die Mitarbeiter*innen, die Umwelt, die Region und die Gesellschaft erreichen und ein offizielles Label erarbeiten.
Hat sich der Prozess gelohnt?
Uta Börger: Auf jeden Fall! Die Durchleuchtung aller unserer internen Prozesse hat sowohl mir als Geschäftsinhaberin wie auch meinem Unternehmen insgesamt sehr viele positive Impulse beschert. Das Überdenken von alten Abläufen und den Fragestellungen nach neuen Rahmenbedingungen und Strukturen, die zum Wohle aller noch optimiert werden können, hat dem ganzen Team und meinem Verlag Bewegung, Veränderung, Fokussierung und Weiterentwicklung ermöglicht.
Wie geht es jetzt weiter?
Uta Börger: Nach zwei Jahren muss neu berichtet und erneut bilanziert werden. Dies wird hoffentlich nicht mehr so umfangreich wie die erste Berichtsphase, aber wahrscheinlich genauso spannend. Dies bedeutet, dass wir weiter konstant an Verbesserungen arbeiten werden. Denn es entspricht unserem liesLotte-Spirit vorzudenken und neue Wege zu gehen.
In der Region Augsburg sind folgende Unternehmen gemeinwohlzertifiziert:
- Bio Hotel Bayerischer Wirt, Augsburg
- elfgenpick GmbH & Co. KG, Augsburg
- Schubert Bio & Vollwertbäckerei GmbH & Co. KG, Ausburg
- Werte-voller-Leben GmbH & Co. KG, Neusäss
- Herzstück Horgau eG, Horgau
- liesLotte Medien Verlag, Augsburg
- HBplus Dinkelscherben Gmbh Steuerberatungsgesellschaft, Dinkelscherben
- Snehotta Pflegeteam, Krumbach
- Outward Bound gGmbH, Schwangau
- Schloss Blumenthal, sozial-ökologische Mehrgenerationen-Projekt, Blumenthal
- Bürgerenergiegenossenschaft ND-SOB-AIC-EI eG, Schrobenhausen
- Bürgerenergiegenossenschaft im Landkreis Pfaffenhofen a.d. Ilm eG, Pfaffenhofen
- Contecta Immobilienverwaltung GmbH, Augsburg
- Architekturbüro Mießl GmbH, Schrobenhausen
Hier geht es zu Gemeinwohl-Ökonomie, Regionalgruppe Augsburg
Kontakt: augsburg@list.ecogood.org
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Ein spannendes Interview mit Michael Schnitzlein zum Thema Gemeinwohlökonomie findet ihr auch auf der Website Aufgeklärtes Herz