Nachhaltig wirtschaften
Geld

Ausbruch aus dem Hamsterrad

Von allem weniger: Weniger Geld, weniger Arbeit, weniger Konsum. Sarah Schützenbergers Plädoyer für ein genügsames Leben
Sarah Schürzenberger, Foto: Cynthia Matuszewski

Das Jahr 2020 hat bei vielen Menschen zu einschneidenden Veränderungen in ihrem Leben geführt. Vieles war schmerzhaft und existenzbedrohend. Es gab aber auch positive Effekte: Wir sind weniger geflogen, haben unsere unmittelbare Umgebung intensiver erlebt, haben mehr Bio-Produkte eingekauft und hatten weniger Kontakte. Viele Menschen haben auf dieser reduzierten Ebene bewusster gelebt. Wäre es vielleicht ein guter Vorsatz für das Jahr 2021, einen Teil dieser Ideen im Alltag fortzuführen?

 

Sarah Schützenberger sagt in ihrem Essay, dass wir im Grunde genommen von allem weniger brauchen - weniger Arbeit, weniger Geld, weniger Konsum. Ihr Plädoyer für ein genügsames Leben und eine Politik, die dieses Leben unterstützt:

 

Weniger arbeiten...

Eine 40-Stunden-Woche gilt in Deutschland als normale Vollzeitbeschäftigung. Man muss ja auch so viel arbeiten, um genügend Geld zu verdienen, weil das Leben ja so teuer ist...

 

Doch wann verdient man denn genügend? Unabhängig von der Menge des verdienten Geldes, lässt sich feststellen: Je mehr Geld man verdient, desto mehr Ausgaben entstehen. Die Formel ist einfach. Am Beispiel der Miete lässt sich das gut verbildlichen. Wer mehr verdient, hat mehr Geld für die Miete, was beispielsweise zur Folge hat, dass man sich eine größere Wohnfläche gönnt. Die Folge von mehr Wohnfläche ist mehr Arbeit. Zum einen hat man mehr Platz um Gegenstände anzuhäufen, die Unordnung stiften und aufgeräumt werden müssen. Zum anderen hat man mehr Fläche, die geputzt werden muss. Dafür wird Zeit benötigt. 40 Stunden pro Woche zu arbeiten, hat zur Folge, dass die Freizeit geringer wird und man diese häufig nicht für den Haushalt verwenden möchte. Die vermeindliche Lösung ist eine Putzkraft, die einem unter die Arme greift. Diese kostet allerdings wieder Geld.

 

Der anstrengende und eintönige Arbeitsalltag zehrt einen aus, die Unzufriedenheit nimmt zu. Dank dem „sich glücklich shoppen“ und der Freizeit ohne freie Zeit lässt sich diese Unzufriedenheit verdrängen. Um sich von Arbeit und Freizeit zu erholen und gleichzeitig etwas Spannendes zu erleben, werden ferne Orte wie zum Beispiel Thailand oder Australien bereist. Für diesen Luxus, den man sich gönnt, gibt man gerne eine Menge Geld aus.

 

So ist man vor lauter Arbeiten an einem Punkt, an dem man viel arbeiten muss, um viel Geld zu verdienen, weil man es ja scheinbar braucht – willkommen im Hamsterrad. Auch die „Glücksforschung führt zur Einsicht, dass eine Erhöhung des Pro-Kopf-Einkommens nach Erreichen eines bestimmten Niveaus keinen weiteren Zuwachs an Glück stiftet.“ (1)

 

 

Befreiung vom Überfluss

Die Befreiung vom Überfluss wird von der Frage geleitet: Was brauche ich wirklich, um zufrieden zu sein? Ganz klar, dass die Grundbedürfnisse quantitativ und qualitativ gedeckt sein müssen und darüber hinaus die individuellen Bedürfnisse des Einzelnen. Entsteht Zufriedenheit, wenn Grund- und individuelle Bedürfnisse befriedigt sind?

 

Vor lauter Überfluss können viele Menschen überhaupt nicht mehr zufrieden sein. Hierbei ist die Suffizienz ganz entscheidend. Sie meint das richtige Maß zwischen dem, was ausreichend und dem was angemessen ist(2). Wobei es im Überfluss primär auf Genügsamkeit ankommt, sprich dem „was genug“ ist und die damit verbundene Befreiung vom Überfluss, die zu mehr Lebensqualität führt.

 

Die Folge der Umstellung von einem unzufriedenen Leben im Überfluss zu einem genügsamen ist, dass der Einzelne deutlich weniger Geld benötigt. So kann man sich beispielsweise von dem gesellschaftlichen Standard der 40 Stunden Woche verabschieden und beschließen, ‚nur‘ 20 Stunden pro Woche zu arbeiten. Die neue Freizeit kann für Beziehungen verwendet werden, was nach aktuellen neurobiologischen Kenntnissen unterbewusst, das zentrale Ziel jeglichen menschlichen Handelns ist. Dabei kann es sich um die Beziehung zu sich selbst, zu Mitmenschen oder zur Natur handeln (3). Durch die Zufriedenheit mit dem eigenen Alltag ist die teure Flucht in ferne Länder überflüssig.

 

Alltag entschleunigen

Zudem kann die ‚neu gewonnene‘ Zeit die Entschleunigung des Alltags unterstützen. Denn der „Beschleunigungswahn ist nicht nur ressourcen-intensiv, sondern auch noch abträglich für die Lebensqualität." (4)

 

Ein weiterer Aspekt für die Steigerung des individuellen Wohlstands ist die Befreiung von materiellem Überfluss. Dies ist genauso, wie die Befreiung von Zwängen und Gewohnheiten, ein Prozess, der sich nach und nach ausweitet. Der erste Schritt ist sich wieder bewusst zu machen, was man wirklich braucht. Zunächst ändert sich das Konsumverhalten quantitativ - man kauft weniger! Des Weiteren kann man in den eigenen vier Wänden bereits angesammelten Überfluss ausmisten.

 

Auch ein allgemeines Umdenken „vom Besitz zum Nutzen“ ist befreiend. Warum eine Bohrmaschine besitzen? Im Endeffekt möchte man sie nur nutzen. Bei solchen Gebrauchsgegenständen wie der Bohrmaschine, dem Auto, der Waschmaschine etc. ist es sinnvoll sich Sharing-Netzwerken anzuschließen oder diese im Freundes-, Familien- und Bekanntenkreis neu aufzubauen. So muss nicht jeder alles besitzen, kann aber dennoch alles nutzen.

 

Außerdem ist es sinnvoll die Lebenszeit von Produkten zu verlängern, beispielsweise indem Dinge, die man „neu“ braucht aus zweiter Hand kauft und defekte Gegenstände repariert. So wird eine Menge Geld und damit auch Arbeitszeit eingespart. Zudem ist die Befreiung von „Energiesklaven“, wie sie von Niko Paech ganz passend betitelt werden, ein weiterer Schritt in Richtung Befreiung vom Überfluss. Bei „Energiesklaven“ handelt es sich um aufwendige, technische Geräte, die Energie fressen und etwas ersetzen, was ohne Strom genauso möglich wäre. Ein Beispiel hierfür ist der Wäschetrockner.

 

Es wird deutlich, „die Einstellungen bringen entweder finanziellen Gewinn oder aber erfordern nur den Verzicht auf einen begrenzten Zusatznutzen, der keinen Verlust an Lebensqualität bedeuten muss.“ (5)

 

Klimaschutz und globale Gerechtigkeit

Auch im Sinne des Klimaschutzes und der globalen Gerechtigkeit ist es essentiell auf Suffizienz zu setzen. Sie stärkt „die Förderung des Gemeinwohls und den Ausgleich zwischen den heutigen Privilegierten und den heute Marginalisierten“. (6)
Momentan ist es so, dass wir, die westliche Welt, auf Kosten der Natur und benachteiligter Menschen aus hauptsächlich ärmeren Ländern leben. „Klimaerwärmung ist ganz klar auf die Industriestaaten zurück zu führen“ meinte Prof. Dr. Angelika Zahrnt die Ehrenvorsitzende des BUND7. Auch sind es die Menschen aus den ärmeren Ländern, die zuerst vom Klimawandel betroffen sein werden, den wir zu verschulden haben. Die Marginalisierten sind es auch, die schon heute Gesundheitsschäden durch die chemischen Abwässer der Industrien erleiden, in denen Produkte wie billig Klamotten für die westliche Welt produziert werden. Sie sind es auch, die vor Ort unter Hunger und härtester körperlicher Arbeit leiden und für uns Rohstoffe ab- oder anbauen. Das alles für unseren vermeintlichen Luxus, der sich auch für uns immer mehr als krankmachender Ballast entpuppt.

 

Wenn man nun also die Suffizienz anstrebt, kommt die Frage auf, was das richtige Maß ist. Niko Paech überträgt den kategorischen Imperativ von Immanuel Kant auf diese Thematik. „Demnach dürfte jeder Mensch durchschnittlich ein Quantum an ökologischen Ressourcen verbrauchen, von dem sich sagen lässt, dass dann, wenn alle anderen Erdbewohner sich ähnlich verhalten, die irdische Tragekapazität dauerhaft erhalten werden kann.“ (8) Wer für Klimaschutz und globale Gerechtigkeit ist, muss sich daran orientieren, dass „jedem Erdbewohner bis 2050 noch ein jährliches Emissionsquantum von 2,7 Tonnen CO2 zur Verfügung“ stehen. (9)

 

Brauche ich ein weiteres Paar Schuhe?

Wenn man in Deutschland einem nachhaltigen Lebensstil nachgehen möchte, bedarf es nicht neuer, regional produzierter Öko-Schuhe, sondern viel mehr stellt sich hierbei die Frage, ob man überhaupt ein weiteres Paar Schuhe braucht.

 

Für einen nachhaltigen Lebensstil spielt der ökologische Fußabdruck die zentrale Rolle. Er berechnet, wie viele Erden gebraucht würden, wenn alle so leben würden wie man selbst. Die Deutschen haben nach dem Global Footprint Network im Schnitt einen ökologischen Fußabdruck von über 3 Erden. Dieser Footprint-Rechner ist ein Tool, mit dem sich schnell verstehen lässt, was wirklich umweltfreundlich ist und was nur Green Washing.

 

Im Folgenden wird aufgezeigt, wie man auf einen ökologischen Fußabdruck kommen kann, der kleiner als eine Erde ist: Das Reisen mit Flugzeug und Kreuzfahrtschiff ablehnen, genauso wie das (Mit-)Fahren in Autos und auf Motorrädern. Stattdessen öffentliche Verkehrsmittel, das Fahrrad oder die eigenen Füße nutzen. Bei den Nahrungsmitteln ist auf tierische Produkte zu verzichten, da sie sehr viele Ressourcen verbrauchen im Vergleich zu pflanzlichen (laut WWF ein Unterschied von 3 Tonnen CO2 pro Jahr). Lebensmittel niemals wegwerfen, im besten Fall Foodsaving betreiben. Obst und Gemüse heimisch-saisonal kaufen oder selbst anbauen. Biologisch und fair produzierte Produkte bevorzugen. Wenig konsumieren und wenn möglich Second-Hand-Produkte. Und zu zweit eine Wohnung im Mehrfamilienhaus mit maximal 50 m², mit einer durchschnittlichen Temperatur von 20 C°, bewohnen.(10)

 

 

Postwachstumsökonomie: Suffizienz statt Effizienz

Die vorangegangenen Gedanken lassen sich der Postwachstumsökonomie, einer wachstumskritischen Bewegung, zuordnen. In dieser ist die Suffizienz der rote Faden, anders als in vielen anderen ökologischen Bewegungen, die sich an Effizienz und Konsistenz festklammern.

 

In der Postwachstumsökonomie wird die Umgestaltung und der Rückbau der Wirtschaft gefordert. Ein einfaches Gedankenexperiment: Angenommen die Nachfrage nach Industrieprodukten würde durch eine längere Nutzungsdauer der Produkte und Sharing-Netzwerke um die Hälfte sinken, dann müsste auch nur noch die Hälfte produziert werden. Das bedeutet weniger Umweltbelastungen und weniger Arbeit für die Gesellschaft. Weniger Arbeit bedeutet weniger Einkommen und das ist kein Problem, weil man im Schnitt nur noch die Hälfte konsumiert. Die Suffizienz ist mit einem grundsätzlichen Wertewandel verbunden, (11) der „vom Haben zum Sein“ führt.

 

Dabei geht es in der Postwachstumsökonomie nicht darum wieder in Höhlen zu ziehen und sich lediglich von gesammelten Pilzen, Beeren und Insekten zu ernähren, sondern darum, einen nachhaltigen Lebensstil zu pflegen, der Klimaschutz, globale Gerechtigkeit und die eigene Zufriedenheit beinhaltet. Die Suffizienzpolitik hat die Aufgabe sowohl Mangel als auch Überfluss zu minimieren, um so ein besseres Leben für alle zu ermöglichen. (12)

 

Als Methoden dieser Idee gelten Entflechtung der Produktionsketten nach dem Prinzip: „So regional wie möglich, so global wie nötig“ (13) sowie Entschleunigung und Entrümpelung.

 

 

"Souverän ist nicht, wer viel hat, sondern wer wenig braucht" Nico Paech

In der westlichen Welt, die durch Schnelligkeit und Leistungsdruck geprägt ist, sind Diabetes, Depression (14), Burnout (15) sowie Ritalin und Kokain Abhängigkeit (16) stark verbreitet. Dies sind alles Symptome, die auf eine Überlastung zurückgeführt werden können. Der Überfluss in der westlichen Welt scheint, genauso wie der Mangel, gesundheitliche Schäden zu verursachen.

 

Die Suffizienz hilft uns dabei, aus dem Hamsterrad des Wirtschaftswachstums auszubrechen. Dabei geht es nicht um einen leidvollen Verzicht, sondern viel mehr um die Befreiung vom Überfluss und die Genügsamkeit mit dem was man hat. Ein schönes Zitat von Niko Peach in dem Zusammenhang ist: „Souverän ist nicht, wer viel hat, sondern wer wenig braucht“ (17).

 

Die Gedanken der Suffizienz zu leben bedeutet also mehr Wohlstand für alle. Denn in den Ländern, in denen die Menschen im Überfluss zu ersticken drohen, würde dieser weniger werden. Die Menschen wären genügsamer und glücklicher. Und die Menschen in ärmeren Ländern würden nicht vom globalen Wirtschaftssystem unterdrückt und ausgebeutet werden, sondern hätten die Möglichkeit sich im Sinne des Gemeinwohls zu entwickeln, so dass auch hier die Versorgung der Grundbedürfnisse sichergestellt würde. Eben mehr Wohlstand für alle!

 

 

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INFO: Sarah Schützenberger verfasste den Text "Der Ausbruch aus dem Hamsterrad - Suffizienzpolitik" am 13.03.2019 für die "LfU Ringvorlesung: Umweltschutz heute: Schutz der natürlichen Ressourcen".
QUELLEN: Auf mehrfach geäußerten Wunsch unserer Leser*innen veröffentlichen wir hier die Quellen, auf die sich Sarah Schürzenberger bezieht:

  • 1 Paech Niko: Befreiung vom Überfluss. München, oekom, 2013: S. 110
  • 2 Vgl. The Oxford English Dictionary
  • 3 Vgl. Felber Christian: Gemeinwohl-Ökonomie. München, Piper Verlag, 2018: S. 121
  • 4 Sachs Wolfgang: Suffizienz. Umrisse einer Ökonomie des Genug. Berlin, Wuppertal Institut, 2015: S. 4
  • 5 Linz Manfred: Weder Mangel noch Übermaß - Warum Suffizienz unentbehrlich ist. Wuppertal, Wuppertal Institut, 2004: S. 12
  • 6 Linz Manfred: Weder Mangel noch Übermaß - Warum Suffizienz unentbehrlich ist. Wuppertal, Wuppertal Institut, 2004: S. 12
  • 7 Zahrnt Angelika: Suffizienzpolitik. Vortrag am 28.01.2019 in dem LfU Augsburg
  • 8 Paech Niko: Befreiung vom Überfluss. München, oekom, 2013: S. 58
  • 9 Paech Niko: Befreiung vom Überfluss. München, oekom, 2013: S. 99
  • 10 Vgl. https://www.wwf.ch/de/nachhaltig-leben/footprintrechner; Abrufdatum 19.02.2019
  • 11 Vgl. Linz Manfred: Weder Mangel noch Übermaß - Warum Suffizienz unentbehrlich ist. Wuppertal, Wuppertal Institut, 2004: S. 11
  • 12 Vgl. Sachs Wolfgang: Suffizienz. Umrisse einer Ökonomie des Genug. Berlin, Wuppertal Institut, 2015: S. 3
  • 13 Paech Niko: Befreiung vom Überfluss. München, oekom, 2013: S. 118
  • 14 Vgl. Busse Reinhard u.a.: Tackling chronic disease in Europe. World Health Organization, the European Observatory on Health Systems and Policies, 2010: S. 65
  • 15 Vgl. Jönsson Anja: Volkskrankheit Burnout-Syndrom. In: Media Planet, Kopf und Psyche, 2012
  • 16 Vgl. Scherler Patrik und Di Giusto Flavio: Hilfsmittel zur Leistungssteigerung auf dem Prüfstand. KMU Business World, 2017: S. 2
  • 17 Paech Niko: Befreiung vom Überfluss. München, oekom, 2013: S. 130

 

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