Ein Dorfplatz zwischen Hochhäusern

„Wie wär’s mit einem Tanztee?“ „Ich mache den Schokoladenpudding.“ „Und Eko spielt Gitarre und hilft beim Spülen!“ Im „Salon im Schwabencenter“ fliegen Vorschläge und Gelächter hin und her. Heute geht es um einen ganz besonderen Termin. Am 27. April 2018 feiert das „Wohnzimmer im Schwabencenter“ sein dreijähriges Bestehen. Um den großen Tisch, beladen mit Pizza, Getränken und Rosinenzopf, sitzen 20 recht unterschiedliche Menschen, die eines gemeinsam haben: Sie füllen ihr „Wohnzimmer im Schwabencenter“ mit Leben.
2015 wurde dieses Nachbarschafts- und Begegnungszentrum von der Intitiative Lebensraum Schwabencenter und der AWO Quartiersentwicklung Herrenbach, Textilviertel und Spickel ins Leben gerufen. Im Neonlicht einer Einkaufspassage, zwischen Handyladen und Nagelstudio wächst und gedeiht seitdem dieses lebendige, vor Ideen sprühende Projekt.
Mit seinen geblümten Sesseln, seiner stets offenen Tür, vor allem aber dank seiner Mitwirkenden verbreitet das Wohnzimmer den anheimelnden Charme eines Dorfplatzes. Und das in unmittelbarer Umgebung von drei 20-stöckigen Hochhäusern aus den 70er Jahren. Hier leben rund 1.600 Menschen und es gibt viel Beton. Aber hier gibt es eben auch das Wohnzimmer im Schwabencenter. Es gibt Anna, die kreatives Schreiben anbietet, oder Ewald, der die Tischtennis- und die Skatrunden koordiniert. Patrick, der „Elektroflüsterer“ repariert defekte Elektrogeräte und Mannfred mit zwei „n“ hat gerade eine Männergruppe gegründet. „Eine wichtige Säule des Wohnzimmers ist auch die soziale Fachberatung für Senioren“, ergänzt Angela Kemming von der AWO.
Jeder kann sein Talent teilen - alle profitieren
Und immer wieder entstehen neue Ideen und Projekte. Im Februar 2018 ist die Internationale Kelleruni Herrenbach (I Ku) ins Wohnzimmer gezogen. Die Kelleruni arbeitet nach einem ähnlichen Prinzip wie das Wohnzimmer: Jeder kann sein Talent mit anderen teilen – sei es nun die Kunst des Obstbaumschneidens oder Strümpfe stricken. Vor kurzem hat sich der Student Johannes mit Manfred und Mannfred zusammengetan und die „Leihwand“ im Wohnzimmer ins Leben gerufen. „Jeder besitzt doch Dinge, die er nur sehr selten benutzt. Beispielsweise ein Waffeleisen, ein Zelt oder eine Bohrmaschine. So etwas kann er oder sie bei der Leihwand anbieten und umgekehrt die eigenen Wünsche äußern“, erklärt Johannes. „Nicht alles muss man selbst besitzen, wenn es hilfsbereite Nachbarn gibt!“
Lebendige Nachbarschaft
„Das ist lebendige Nachbarschaft - Jung und Alt brauchen in einem so anonymen Hochhausumfeld einen Ort, wo das möglich wird“, so die Meinung von Lisa Schuster von der AWO. Auch das Management des Schwabencenters unterstützt das Wohnzimmer und stellt den Laden kostenlos zur Verfügung. „Die Stromkosten bezahlen wir selbst“, so Schuster. Wer das Wohnzimmer nutzt und das Geld entbehren kann, zahlt 50 Cent pro Besuch.
Alle sind willkommen
„Die Tür steht jedem offen“, ergänzt Sabine Pfister, Mitgründerin der Initiative Lebensraum Schwabencenter. Die Architektin wohnt nicht im Schwabencenter, kann sich aber vorstellen hier ihren Lebensabend zu verbringen. „Ich bin immer sehr gern im Wohnzimmer. Hier treffen sich Menschen, die sonst wenig miteinander zu tun haben. Das ist eine witzige, interessante Mischung. Die Foodsharer sind zum Beispiel komplett anders als die Leute, die am Donnerstag zum Tischtennis kommen“, erzählt Sabine Pfister.
Ihr Traum sind „Radieschen auf dem eigenen Dach“. Genug Platz wäre vorhanden, denn die Dächer auf dem Einkaufszentrum und zwischen den Hochhäusern sind so groß wie drei Fußballfelder. Und ihre Statik hält das aus, denn hier gab es früher einmal eine Gärtnerei und einen Kindergarten. Auch die Dachbegrünung ist genehmigt, aber die Eigentümer sind zurückhaltend – sie befürchten Vandalismus oder dass Gegenstände aus den Fenstern auf die Gärten fliegen.
Radieschen auf dem eigenen Dach
Deshalb ist der nächste Tagesordnungspunkt im Salon auch die Hochbeete-Aktion: Von Ostern bis Muttertag wollen die Wohnzimmer-Leute die Anwohner von ihrer Idee überzeugen. Deshalb bauen sie in der Ladenpassage einen blühenden Garten auf, mit Kräutern, Blumen und vielleicht sogar Radieschen. Und schon werden wieder neue Aufgaben verteilt: Wer baut die Hochbeete mit auf, wer gießt, wer pflegt? Die Finger gehen hoch. Nach drei Jahren Wohnzimmer ist so eine Aktion ja wohl kein Problem mehr für die Engagierten.
Dieser Lifeguide-Artikel erschien am 15. April 2018 auch in der Purpur, dem Magazin zu verantwortungsvollem Leben in Augsburg und Umgebung aus dem Hause liesLotte.